Samstag, 18. April 2015

Kapitel 9: Ja, ich gestehe...


Gestern habe ich verstanden, dass mein Normalgewicht zwischen 77 und 79 schwankt. Egal was die WHO oder die Mode-Branche dazu sagen. Deshalb sind alle Abnehm-Versuche gescheitert. Hier das nächste Kapitel aus dem halbfertigen Buch.

Nach dem Urlaub war zu Hause erst einmal viel los. Auspacken, Wäsche waschen, einkaufen, der Kühlschrank war ja leer. Mensch, hat es mir viel Freude bereitet wieder selbst einzukaufen und zu kochen. Ja, das tut gut. Ob es daran liegt, das ich das Gefühl hatte die Kontrolle wieder zu haben, was ich esse oder das es einfach schön ist für die anderen zu sorgen, kann ich nicht sagen. Lassen wir es einfach.
Der Alltag hatte mich bald wieder und ich fand mich mal wieder voll im Kampf. Es war wieder die Versuchung eine Diätwoche einzulegen. Ich fühlte mich in meinem Körper einfach nicht wohl, fühlte mich wieder zu dick und die frischen Fettpolster störten mich. Die grünen Smoothies habe ich noch ein paar Tage gemacht, dann verging mir die Lust. Sie schmeckten irgendwie nicht mehr und wirklich satt wurde ich davon auch nicht.

Ich erinnere mich, dass ich irgendwo mal gelesen habe: Wenn du etwas nicht schätzt, wird es dir weg genommen. So war es auch bei mir mit meinem Gewicht. Als ich 78 kg wog und dieses Gewicht mühelos halten konnte, war ich immer unzufrieden, wollte immer weniger haben. Als ich dann bei 73 war, hat sich da nicht wirklich was verändert. Selbst bei meinem „Traumgewicht“ hatte ich an meinem Bikini-Foto etwas auszusetzen. Kein Wunder, dass mir das genommen wurde und ich nun über 80 kg auf die Waage bringe. Wie viel genau, kann ich nicht sagen, habe mich nicht gewogen. Wozu auch?
Ich sehnte mich nach einem Gespräch mit meiner weisen Katze, doch andererseits war ich auch immer eingespannt und gönnte mir keine freie Minute. Und wenn ich doch es geschafft hatte mich zurück zu ziehen, so haben mich in dem Moment andere Gedanken beschäftigt. Dann aber änderte sich alles schlagartig. Ich bekam Migräne. Seit der Geburt der Großen hatte ich diese dröhnenden Kopfschmerzen nicht mehr so intensiv erlebt. Ich wurde gezwungen mich hin zulegen und nichts zu tun.
Im Halbdelirium sah ich etwas Wuscheliges an meinem Bett vorbei huschen. Als ich die tränenden Augen öffnete, saß die Katze im Schaukelstuhl neben mir.
- Hallo, - wimmerte ich leise.
- Hast du dich mal wieder fertig gemacht? - fragte sie sanft.
- Nein, nicht wirklich. Die Migräne macht mir nur sehr zu schaffen.
- Und warum hast du Migräne? Was versucht dein Körper dir damit zu signalisieren?
- Weiß nicht, wahrscheinlich, dass ich mich ausruhen soll.
- Tja, und warum solltest du dich ausruhen?
- Du hast ja Recht, ich habe mich etwas überangestrengt, - gab ich zu uns schloss wieder die Augen, weil ich das Gefühl hatte, dass mir sie mir sonst platzen. Der Druck verlagerte sich in die Schläfen. Es füllte sich so an, als ob der Kopf gleich zerspringt und gleichzeitig als ob ein fester Metallreifen um den Kopf von außen fest drückt. Druck von innen, Druck von außen. Es pochte und mir liefen ein paar Tränen die Wangen runter.
- Wehre dich nicht dagegen, - sagte die Katze leise.
Ich schüttelte den Kopf. Das geht nicht, es tut jetzt schon so weh. Was passiert, wenn ich erst den Schmerz noch zu lasse?
- Lass los. Entspanne dich, ich versuche dir ein wenig zu helfen.
Im selben Moment fühlte ich eine angenehme Kälte auf meinen Schläfen und auf meiner Stirn. Es fühlte sich wie leichtes Streicheln an. Ganz zärtlich und behutsam. Der Druck ließ nach, aber ich war immer noch völlig fertig. Mir wurde übel, ich lief auf die Toilette und erbrach. Danach zitterten mir zwar die Knie, aber ich wusste, das Schlimmste habe ich überstanden. Ich ließ mich zurück ins Bett fallen und versuchte mich auf die Katze zu konzentrieren. Was wollte ich sie denn fragen?
- Ich brauche deinen Rat, - sprach ich leise zur Katze. - Ich hatte so lange gegen meinen Körper gekämpft, habe so lange versucht jemand anderer zu sein, dass ich ganz vergessen habe, wer ich wirklich bin.
- Das ist ein guter Ansatz, - lobte die Katze. - Um eine Essstörung zu beheben musst du im Prinzip nur zwei Sachen erforschen: Wer bin ich und was ist Essen für mich.
- Einen Moment mal! - wandte ich ein. - Ich habe keine Essstörung.
- Okay, dein Verhältnis zum Essen ist nicht gesund. Du hast ein gestörtes Essverhalten.
- Was meinst du damit?
- Was ich meine? Leichtgläubig warst du noch nie. Sieh mal, entweder kontrollierst du wie verrückt jeden Bissen, hältst dich streng an deine Regeln, bist besessen von der Idee dich gesund ernähren zu müssen. Oder du futterst ohne Rast und Ruh alles, was dir in die Quere kommt. Das ist erstens.
- Gibt es denn noch zweitens?
Die Katze schien zu schmunzeln.
- Lass mal sehen. Normalerweise isst man, weil man Hunger hat, richtig? Weil der Körper Nährstoffe braucht. Man kann aber auch essen, weil einem langweilig ist oder weil man etwas Unangenehmes hinaus schieben möchte. Oder weil man gerade aufgebracht ist. Oder wütend oder traurig oder verletzt oder gestresst.
Ich senkte verlegen den Kopf. Ja, das tue ich. Ich tröste mich mit Schokolade und knabbere an Keksen herum, wenn ich müde bin.
- Du isst also, obwohl du keinen körperlichen Hunger hast. Zum Beispiel auch um sich zu belohnen. Oder aus Prinzip, es ist eben Mittagessenszeit und da hat man zu essen beispielsweise. So kann es aber auch vorkommen, dass du etwas in dich rein mampfst, obwohl dein Körper gerade etwas völlig anderes braucht. Statt Salat wäre womöglich ein Quark nicht verkehrt.
- Aber ich habe eine Laktoseintoleranz, - wandte ich wieder ein.
- Die ja ganz merkwürdig funktioniert. Wenn du in deinem veganen Denken bist, dann kriegst du Magenschmerzen. Und wenn du in Liebe und Frieden mit dir selbst bist, dann könntest du sogar ein Glas frische Milch trinken und nichts würde dir passieren.
Die kennt mich einfach zu gut, dachte ich mir insgeheim.
- Das sind aber noch nicht alle Gründe. Du isst, weil du zu faul bist, dir selbst etwas zu zubereiten.
- Also das ist wirklich an den Haaren herbei gezogen. Ich koche viel und gerne.
- Ja, aber wenn von gestern Kartoffeln übrig sind, dann fragst du dich nicht einmal, ob du sie gerade essen willst. Du isst sie einfach. Das meine ich.
Eine Ohrfeige nach der anderen. So kam es mir vor. Die durchschaut mich einfach.
- Weiterhin kannst du nicht ruhig zuschauen, wenn deine Kinder Pommes essen. Und du begrenzt sie bei Süßigkeiten.
- Was hat das mit einer Essstörung zu tun und warum ist es so schlimm, wenn ich mich um die Gesundheit meiner Kinder sorge?
- Du hast eine falsche Denkweise, kapierst du das nicht? Du hast auf vielen Lebensmitteln ein Urteil drauf. „Ungesund“ oder „nicht vegan“ oder „zu fett“.
- Also zu fett ist mir nichts mehr. Seit der Stoffwechselkur. Als ich gesehen habe, ich kann Schlagsahne löffeweise in mich rein hauen und es passiert nichts. Und Käse habe ich auch gegessen, was das Zeug hält. Schlimm sind die Kohlenhydrate.
- Na gut, dann sind es eben die bösen Kohlenhydrate. Du hast verbotene Lebensmittel, bist noch voll im Diät-Denken drin. Und nicht nur das, nein, du versuchst auch noch dasselbe Denkmuster deinen Kindern anzueignen. Warum hast du denn so eine große Angst davor dich normal zu ernähren?
- Weil normal nicht gesund ist. Tierisches Eiweiß verfault nur im Körper, der Zucker zieht Calcium aus den Knochen raus und in gekochten Speisen sind die Vitamine tot.
- Wenn das alles so schlimm ist, warum hast du bisher noch keine unheilbare Krankheit von all dem ungesunden Zeug?
- Weil mein Körper so stabil ist, so widerstandsfähig.
Die Katze wandte ihren Blick von mir ab.
- Nun gut. Du merkst aber schon, dass du von deinen Überzeugungen gefangen bist, oder? Sie grenzen dich ein, du bist nur dann glücklich, wenn du das Richtige isst. Warum also willst du etwas behalten, was dir gar nicht gut tut?
Ich dachte über die Worte der Katze nach. Es stimmt ja schon sehr, was sie da erzählt. Wozu brauche ich etwas, das mich unglücklich macht?
- Und nun? - fragte ich schließlich.
- Was sagt dein Innerstes?
- Ich muss mir eingestehen, dass ich eine Essstörung habe. Wie geht es weiter?
- Du arbeitest doch so gerne mit Listen. Wie wäre es mit einer Motivationsliste für das neue Problem. Warum möchtest du es lösen? Welche Hintergründe hast du?
Ich nickte und fand die Idee sehr gut. Meine Augen fielen mir aber zu.
- Ruhe dich aus. Wir machen ein anderes Mal weiter, - und schon huschte die Katze aus dem Zimmer.

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