Samstag, 25. April 2015

Kapitel 14: Tag der Abrechnung


 Da hab ich mir vor kurzem Gedanken gemacht, was ich verändern müsste und lese heute das nächste Kapitel, dass ich vor mehr als einem halben geschrieben habe und sehe: Diese Frage habe ich mich  schon mal gestellt )))
Wie ging es mir mit der Ernährung? Ich hatte gestern aus Stress gegessen, um mich zu trösten und um meine Gefühle zum Schweigen zu bringen. Immerhin war es nur ein Hühnchenschenkel, dann war ich pappsatt. 

Und wisst ihr was? Ein Traum von mir ist in Erfüllung gegangen! Zum 1. Juni ziehen wir in eine Wohnung mit Garten! JUHU!
Außerdem hab ich einen weiteren Friedenspakt mit meinem Körper geschlossen. Ich habe viele Bikini-Fotos, von vorn, von hinten, von der Seite, alles Mögliche. Und ta-da, ich finde meinen Hintern doch tatsächlich attraktiv. Wenn ich ein Mann wäre, ich würde dem hinterher schauen und leise pfeifen *grins


Am nächsten Morgen packte mich eine unglaubliche Wut. Ich war wütend auf die Gesellschaft. Warum werden Mollige gemobt? Im Fernsehen und Film tauchen nur schlanke Schöhnheiten auf. Perfekt geschminkt und frisiert, wohl gemerkt. Wo sind diese normalen Frauen hin? Die auch ein Bäuchlein haben und deren Hüftumfang sich mehr als 10 cm vom Taillenumfang unterscheidet. Mutter Natur hat Frauen mit großer Hüfte geschaffen, damit sie gesunde Kinder zur Welt bringen. Was für eine kranke Gesellschaft ist das denn, in der eine junge, flachbrüstige, schlanke Frau ein Ideal darstellt? Die Frauen sollen am besten wie Teenager aussehen, habe ich das Gefühl.

Wobei, Brüste soll sie dabei schon haben, als ob sie gerade Milcheinschuß hat. Am dritten Tag nach der Geburt von meiner ersten Tochter, kam ich mir wie das Busenwunder Pamela Anderson vor. Und nur dann sieht eine Brust auch so prall aus. Ich kenne das sonst nicht. Ich gehe sehr gerne in die Sauna und glaubt mir: Brüste stehen nie hoch. Außer es ist ein blutjunges Ding, dann entwickelt sich die Brust gerade. Ansonsten tendieren sie dazu zu hängen.
Ich bin aber vom Thema abgewichen. Ich war wütend auf die Gesellschaft. Warum heißt es überall, dass Übergewichtige mehr Gesundheitsprobleme haben? Ich meine jetzt nicht die mit Adipositas, da ist es klar, dass der ganze Körper leidet. Nein, ich meine Menschen wie mich. Ich habe laut BMI gute 10 kg zu viel. Und ja, wenn ich sie nicht habe, gefalle ich mir mehr. Aber auch nur, weil man keine Models mit Speckfalten präsentiert. Cellulitis ist als Krankheit eingestuft worden, ist zum absoluten No-Go gemacht worden.
Warum ist das so schlimm? Weil es mir, wie so vielen Frauen, mit diesem Ideal dreckig geht. Ich fühle mich minderwertig. Und gäbe es die perverse Vorstellung, dass schlank gleich schön und gesund ist und übergewichtig hässlich und ungesund? Würde ich mich da noch mit Diäten und Erbrechen quälen? Nein, sicherlich nicht. Es ist der Druck, der immer größer wird. Es gab schon immer dickere und schlankere Menschen. Warum sollen alle gleich sein? Wie Roboter, nur noch perfekt. Das ist purer Wahnsinn!
Ich sah mir Fotos von mir an. Von früher, von jetzt, im Bikini und bekleidet. Im Bikini finde ich mich auf dem Foto nicht attraktiv. Große Oberschenkel, breiter Hintern, nicht unbedingt muskulös, Fettpolster auf der Taillie, dicke Knie. Warum mache ich mich so fertig? Warum sehe ich das, was die anderen womöglich gar nicht sehen? Warum ist mir das so wichtig? Ich bin schön, egal wie viel ich wiege. Diesen Gedanken, den würde ich mal gerne ehrlich aussprechen können.
Bisher bin ich immer wieder zufrieden und wenn ich dann wieder ein schlankes Modell sehe, ärgere ich mich doch. Warum ist diese Zufriedenheit immer nur von kurzer Dauer? Warum rutsche ich so schnell in alte Denkmuster? Wieder fühle ich mich dick und denke mir: ich muss weniger essen oder zumindest aufpassen, was ich esse und wie viel. Und Sport muss ich treiben, oh ja, unbedingt. Und wenn ich gar keine Lust darauf habe? Was dann? Warum muss ich immer wieder mich mit den Gedanken plagen, dass ich noch die eine oder die andere Methode anwenden könnte, um meinen Körper zu verändern?
Ich habe nun mehr als 15 Jahre gegen meinen Körper gekämpft. Ich wollte immer jemand anderer sein. Ich wollte nicht ich sein. Ist das das Ziel der Werbung? Dem Menschen sein wahres Selbstwertgefühl zu nehmen und dann suggerieren, dass man ja nur einen Schokoriegel zum Glücklichsein braucht. Ich bin ich. Wie schön das klingt. Wenn ich so denke, wenn ich mich so akzeptiere, wie ich bin, dann kann man mich nicht mehr beeinflussen, zumindest nicht so stark.
Dann weiß ich: um glücklich zu sein (und das ist ja im Prinzip das, was wir alle wollen) brauche ich kein neues Auto, keine Villa am Meer, nicht mal einen Schokopudding. Nein, ich muss mit mir im Reinen sein. Mich bejahen. Mir sagen: ich bin so wie ich bin und ich liebe mich. Tue ich das nicht, werde ich versuchen mein Verlangen nach Selbstzufriedenheit im Äußeren zu finden. Durch noch mehr Materielles oder Essbares. Kekse machen glücklich, ja, aber nur für einen kurzen Augenblick. Dann erwacht man und merkt, dass man genauso einsam ist wie davor. Werbung suggeriert aber einem dieses leicht greifbare Glück. Iss, wenn du traurig bist. Iss, wenn du glücklich bist. Feiere mit viel Essen. Belohne dich mit Süßem. Mache jemand anderem mit einer Schachtel Pralinen eine Freude. Wollen Sie jemanden eine echte Freude machen? Schenken Sie ihr aufrichtigstes Lächeln!
In der Werbung wird oft folgendes gemacht: die Werte werden ausgetauscht. Lebe den Moment! Jetzt! Scher dich nicht um die anderen. Trinke so viel Alkohol, wie du nur kannst. Feiere und tanze bis zum Umfallen. Es geht im Leben aber eigentlich um was anderes. Wir alle sind hier um uns zu entdecken, kennen zu lernen, Neues zu lernen. Vorgekaukelt wird aber: lebe im Außen. Suche dein Glück nicht im Inneren.
Nicht nur das. Durch das Diäten-Denken haben viele mehr Kleidung als sie wirklich brauchen. Kleidung in einer Größe zu klein, in einer zu groß und in einer, die gerade passt. Verschwenderisch? Nein, das ist „normal“. Dressiere dich zu etwas anderem. Verändere dein Äußeres so, dass du dem Ideal näher kommst. Das Dumme ist nur: Es wird nie gut genug sein. Ich habe das an mir selbst erlebt.
Da hatte ich endlich mein Wunschgewicht, und? War ich zufrieden? Nein, selbst da, müssen noch ein paar Kilo runter und einige Zentimeter weg. Ich wollte so perfekt wie die Prominenten sein. Aber dass die Einzeltrainings haben, spezielle Diät-Köche ihnen ein durchdachtes Menü servieren, sie den ganzen Tag teilweise mit dem Hunger kämpfen, dass sich bei denen ja alles nur ums Aussehen dreht – das habe ich außer Acht gelassen. Wenn ich auch so denken würde, dann wäre ich auch wie sie. Perfekter Körper, hingetrimmt und dressierte Gewohnheiten.
Renn Crystal ist der beste Beweis meiner Theorie. Sie schreibt in ihrem Buch „Hunger“ darüber, dass sie als Modell einem unheimlichen Druck ausgesetzt war, immer perfekt aussehen zu müssen.
Will ich es auch? Oder täusche ich mich vielleicht doch? Geht es auch anders? Eigentlich ja, aber dafür müsste ich anders veranlagt sein. Ich selbst kenne einige Frauen, die sportfaul sind und Diäten für Unsinn halten. Sie essen einfach das, was ihnen schmeckt. Perfekter Körper. Warum ist es bei ihnen so? Und warum muss ich so viel Mühe aufwenden um so zu sein? Vielleicht, weil ich anders bin. Mein Körper ist anders. Ich glaube fest daran, dass wenn ich meine Probleme gelöst habe, dass sich das Gewicht von alleine reduziert.
Wenn ich weniger perfektionistisch bin, wenn ich mir ein Recht auf Fehler zugestehe.
Wenn ich eine realistische Vorstellung davon habe, was ich kann und wie ich aussehe.
Wenn ich meine Bedürfnisse achte und respektiere. Wenn ich mich für wichtig halte. Wenn also mein Selbstwertgefühl gestiegen ist. Unabhängig von der Zahl, die auf der Waage angezeigt wird. Wenn ich mich selbst achte und respektiere.
Wenn ich aufhöre hektisch zu sein. Wenn ich nicht mehr versuche Tausend Sachen zu erledigen. Wenn ich nicht den Drang dazu habe, ständig beschäftigt sein zu müssen. Wenn ich weiß, ich bin es wert zu leben, auch wenn ich nichts tue.
Wenn ich gelernt habe mich selbst wieder zu fühlen. Gefühle zu fühlen. Meinen Körper zu fühlen. Wenn ich körperlichen Hunger von emotionalem Hunger unterscheiden kann. Wenn ich mir klar werden kann, dass das, was ich gerade fühle eben Trauer ist oder Wut. Wenn ich meine Gefühle also klar definieren kann. Wenn ich sie zulassen kann. Wenn ich weiß, ich brauche mich von meinem wahren Ich gar nicht mehr zu trennen. Wenn ich keine Gefahr spüre und nicht wieder in den Zustand falle von „ich bin da, aber du kannst mir nicht weh tun, weil ich nicht wirklich da bin“.
Und wenn ich lerne diese Emotionen zu verarbeiten. Ohne zu essen. Wenn ich lerne Trost außerhalb der Keksdose zu finden. Wenn ich weniger verletzlich geworden bin. Wenn ich aus dem Beleidigt-Sein schnell wieder raus finde. Wen ich Wut zulasse und sie auslebe. Auf dem Sofakissen. Mit den Fäusten. Oder auf einem Brett. Gib mir Nägel und einen Hammer und ich kann sie raus lassen. Oder einen Boxsack. Oh ja, das ist toll! So könnte ich meine Wut förmlich raus hauen. Und wenn ich mich nicht mehr einsam fühle.
Wieder bin ich bei den drei Standbeinen: Prävention, Umgang mit der Situation und das Danach. Wie gestalte ich mein Leben, dass ich weniger Wut empfinde? Weniger Trauer, weniger Einsamkeit. Weniger im Sinne von nicht mehr so oft. Und dann kommt noch weniger intensiv hinzu. Das heißt, ich muss meine alten Wunden heilen. Denn ich weiß ja inzwischen, dass die neuen Verletzungen nur ein Dejavu einer alten Verletzung sind. Mein Vater hat mir nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt, wie ich es gerne hätte. Und nun verletzt es mich, wenn mein Mann sich zurück zieht.
Wie vermeide ich außerdem unnötigen Stress in meinem Leben? Wie gestalte ich den Alltag, dass ich ich mich nicht abgehetzt fühle? Gönne ich mir genug Ruhepausen? Plane ich Zeit zum Verschnaufen ein? Lebe ich für mich? Verwöhne ich mich? Bringe ich Wertschätzung mir selbst gegenüber? Viele kleine Schritte...
Und dann geht es um die Fälle, wenn ich es doch nicht geschafft habe und nun doch verletzt, wütend, traurig, gestresst oder einsam bin. Wie gehe ich mit diesem Ich von mir um? Was hilft mir, wenn ich verletzt bin? - Nachdenken. Reflexion. Tagebuch raus und schreiben, schreiben, schreiben. Wenn alles raus ist, dann mit demjenigen sprechen. Und wenn ich wütend bin? - Wieder erst nachdenken. Aber das ist ja unmöglich. Ich bin wütend. Nehmen wir an, ich bin es wirklich. Und da soll ich nachdenken? Nee, das ist unrealistisch. Nägel in ein Brett rein hauen, ein Sofakissen verprügeln, in einen Sandsack rein hauen. Das hilft.
Was mache ich, wenn ich traurig und apathisch bin? Da fällt mir nichts ein. Oder doch? Eine Umarmung. Ja, das würde helfen. Oder ein tröstendes Wort von jemandem. Also raus in die Welt und sich anvertrauen. Hilfe suchen. Sich in den Arm nehmen lassen. Irgendwas juckt da noch. Ich kann es nicht. Dann würde ich ja Schwäche zeigen. Oh je. Aber ich darf schwach sein! Ein für alle Mal, liebes Unterbewusstsein, hör mir gut zu: ICH MUSS NICHT IMMER STARK SEIN!
Abgehackt. Was hatten wir da noch? Gestresst? Gesichtssauna, warmes Bad, Selbstmassage (sich einfach die Hände oder die Füße massieren), was lesen, sich ablenken, einfach im Schaukelstuhl frische Luft aus dem Fenster schnuppern. Es gibt so viel. Warum mache ich das nur so selten? Ach ja, ich habe ja das Gefühl, dass ich es nicht wert bin. Tja, mir steht so viel Arbeit bevor.
Und das Danach ist im Prinzip auch ganz einfach. Keine Schuldgefühle. Nein, nicht sich die Schuldgefühle verbieten. Es zulassen. Ich darf das. Ich habe das Recht darauf mir ein Stück Schokolade in den Mund zu schieben. Es ist der Versuch meines Körpers Stress abzubauen, die Gefühle zu unterdrücken, die mir gerade zu schaffen machen. Mein Körper ist sehr weise. Er versucht sein Bestes. Ihm vertrauen.
Oh, wie sehr sich mein Gemütszustand verändert hat. Von „ich bin stinksauer auf die Gesellschaft“ auf „ich muss meinem Körper vertrauen“. Hm, das ist doch ein unglaublicher Fortschritt, finde ich zumindest. Und was die anderen Denken, das darf mir egal sein. Es ist ja schließlich mein Leben und nicht das der Anderen. Sollen Sie ihr eigenes leben. Ich bin wie ich bin. Und ich bin gut so wie ich bin. Ich bin schön, so wie ich bin. Wenn ich das sage, fühle ich eine innere Ruhe und Ausgeglichenheit. Ich bin. Hm, fühlt sich gut an.

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