Donnerstag, 16. April 2015

Kapitel 8: Eine Woche in den Bergen

Ich komme irgendwie zu gar nicht viel, ich sag extra nicht "zu gar nichts". Es gibt also keine Beobachtungen aus dem Alltag, sondern "nur" ein neues Kapitel aus dem alten Buch. Ich möchte alle Kapitel hierher übertragen, dann kann ich weiter machen und das Buch endlich fertig schreiben. 

Und dann, dann waren wir weg. Eine ganze Woche in den Bergen. Wandern, Natur erkunden, frische Luft tanken, die Füße in den eiskalten Gebirgsbächen baden und die majestätische Ruhe genießen. Dieses geniale Gefühl, wenn man einen Gipfel erklommen hat und von oben auf die Welt blickt. Dieses Erstaunen, wenn die Wolken vom Tal nach oben auf den Berg ziehen. Dieses unendliche Bewundern der letzten Sonnenstrahlen. Hach, es war einfach wunderbar.
Wenn da nicht das Thema mit dem Essen wäre. Meine Orthorexie, also mein krankhaftes Verlangen sich gesund zu ernähren, hat mir sehr zu schaffen gemacht. In der Früh bin ich es gewohnt (oder ich habe es mir angewöhnt, weil es gesund sein soll) Obst zu essen. Keine Brötchen, Croissants oder Cornflakes. Da steht aber auf einmal die ganze Vielfalt. Nutella, Konfitüren aller Sorten, diese winzigen Päckchen Butter. Und Käse.
Österreich hat nun mal für mich den leckersten Käse. Der mit den großen Löchern hat es mir angetan. Aber es ist KÄSE! Es ist weder vegan noch fettarm. Wie furchtbar! Und bio ist er auch nicht. An einem Tag schaffe ich es mir ein Müssli ohne Milch zu machen und am nächsten folgt dem noch ein dunkles Brötchen. Als nächstes werden weiße Brötchen erlaubt. Und Croissants. Die Schuldgefühle danach kommen wie auf Knopfdruck. Aber zumindest verstehe ich, dass ich gerade so mies gelaunt bin, weil ich Schuldgefühle habe wegen dem üppigen Frühstück habe.
Nein, noch viel mehr. Ich habe Schuldgefühle, dass ich esse. Ja, genau so. Es mag absurd klingen, denn ich bin ja ein Lebewesen, wie jedes andere und brauche Nährstoffe. Ich bin kein Schmetterling, der sich von Tautropfen und Nektar ernährt. Nein, ich bin ein Mensch und brauche Kohlenhydrate, Eiweiß, Vitamine, Ballaststoffe usw. Und als ich noch weiter nach gehackt habe, kam noch etwas Erstaunlicheres raus. Ich habe Schuldgefühle, dass ich lebe. Ich habe das Gefühl, dass ich mein Dasein irgendwie recht fertigen muss. Ich bin es nicht wert zu leben. Einfach so zu leben, das ist nicht erlaubt. Wie schräg ist das denn?
Ich habe mir vorgenommen nach dem Urlaub mal eine Verbotsliste zu erstellen und dann zu gucken, warum ich welches Lebensmittel auf diese Liste gesetzt habe. Welche Ängste sind damit verbunden, warum darf ich das nicht essen, wieso ist das so schlimm?
Jetzt möchte ich aber noch einige Beobachtungen festhalten. Abendessen. Es war immer um halb sieben. Zu Hause essen wir meistens um halb sechs oder sogar um fünf. Das heißt die ersten Tage bin ich mit einem Mordshunger runter in den Speisesaal. Und natürlich habe ich mich überfressen. Nein, das ist zu grob. Ich habe zu viel gegessen. Ich habe geforscht und verstanden, dass ich sehr hungrig um halb sieben bin. Daher habe ich um vier oder um fünf etwas im Zimmer gegessen. Wir hatten ja Obst und Gemüse mit. Dann war diese Problem besser geworden.
Interessant war dabei aber diese neue Wahrnehmung: es gab einen Moment, da habe ich verstanden, dass ich nun esse, obwohl mein Körper es nicht mehr braucht. Aufhören konnte ich noch nicht, aber immerhin hatte ich in dem Moment verstanden, dass ich nicht essen sollte. Meistens war es diese Neugierde. Wie schmeckt es denn wohl? Wie schmeckt dieses und jenes. Da kommt bei mir die Frage auf: Habe ich in meinem Leben evtl. zu wenig Bereiche in denen ich Neues ausprobieren kann? Denn das würde erklären, warum ich so gierig auf neue Geschmackserlebnisse bin.
Einen Vorfall will ich auch noch fest halten. Wir waren im Freibad und mein Mann hat gemeint, er schaut mal, was es beim Kiosk gibt. Zurück kam er mit drei Hotdogs und den Kindern im Schlepptau. Drei, nicht vier. An mich hat er nicht gedacht. Das war der erste Gedanke. Ich fühlte mich verletzt und wusste dabei aber, dass er weiß, dass ich keine Hotdogs esse. Übel nehmen konnte ich ihm das also nicht. Aber er hätte doch zumindest mich fragen können, ob ich nicht einen Salat haben möchte. Nun ja, es endete alles in Tränen und einer sehr herzlichen Versöhnung.
Interessante Tatsache: in dem Moment, als ich meinen Mann mit den Hotdogs erblickte, begann in mir ein Kampf. Die Gesunde in mir urteilte sofort. „Wie kann er nur sowas Ungesundes den Kindern kaufen? Vorher sollten die doch zumindest etwas Gemüse essen.“ Und die Tolerante meinte: „Hui, wie viel Freude in diesem Erlebnis steckt. Dieses gemeinsame Stillen des Hungers, das hat was an sich.“ Es war schwierig, es war belastend und eigentlich würde ich gerne ohne dieses Psychodrama auskommen.
Und noch was ist mir aufgefallen. Es gab Tage, da war ich strenger zu mir und automatisch war ich strenger zu den Kindern. Nein, liebes Kind, du darfst kein zweites Brötchen mit Nutella haben. Nein, für heute reichen diese Pommes. Und als ich zu mir selbst nett war, da habe ich mir mehr erlaubt. Und siehe da, die Situation am Tisch war entspannter. Zumindest von meiner Seite, denn mein Mann übernahm die Kontroll-Rolle. Er schaute dann schon mal böse zu den Kindern hinüber, wenn sie sich das dritte Kuchenstück holten oder ihre Manieren am Tisch nicht gerade adelig waren.
Apropos Kuchen. An einem Abend gab es leckeres Kuchenbuffet und ich habe von allem ein Stückchen probiert. Als ich dann schon satt war, habe ich mich von der fixen Idee nicht befreien könnten, dass ich unbedingt diesen Kirsch-Quark-Strudel probieren muss. Ich kenne das so: wenn ich ihn jetzt nicht probiere, werde ich noch tagelang nach etwas Ähnlichem suchen. Also aß ich ein Stück von dem Strudel. Und er war auch lecker, aber ich hatte danach Bauchweh, weil es einfach zu viel war.
So viele Erkenntnisse in einer Woche, das ist schon spannend. Und noch spannender ist es das alles zu notieren. Es aufzuarbeiten. Ja, so ein emotionales Tagebuch ist schon toll. Dass man sich einfach mal klar machen kann: da habe ich dieses Gefühl. Da geht es mir so und so. Ich mache weiter. Ich sehe da noch so viele Themen, die raus aufs Papier wollen. Und dem nächsten Treffen mit meiner Katze sehe ich auch mit Freude entgegen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen