Freitag, 10. April 2015

Kapitel 3: Liste, meine liebe Liste


Es vergingen wieder Tage. Ich war mal gestresst mal entspannt, aber immer wieder dachte ich an die Katze und hoffte insgeheim auf ein Wiedersehen. Sie bleib aber weg. Na, dann mach ich das eben alleine, dachte ich mir trotzig. Wirst schon sehen, dass ich das auch selbst schaffen kann.
Was hatten wir denn da noch außer „Bitte lasst mir mein Problem, sonst hab ich nichts, was mein Leben füllt.“, was war da noch? Wobei nein, stopp, da ist noch was. Das hört sich ja nach einem Hilfeschrei an. Ich habe sonst nichts! Aber das stimmt ja nicht. Ich habe noch so viel in meinem Leben. Ich muss die Aufmerksamkeit auf andere Sachen lenken. Ja, so fühlt es sich gut an. Dann brauch ich das Problem auch nicht.
Warum habe ich Angst davor, dass mich Männer attraktiv finden? Warum glaube ich, dass alle Männer mich verletzen wollen? Aus Erfahrung. Aber ist Erfahrung nicht erlebtes Denken? Ich denke: Alle Männer sind Schweine und ziehe mir eben nur solche an. Das klingt logisch. Warum also wurde ich als Erwachsene verletzt? Weil ich als Kind diese Erfahrung schon gemacht habe. Dieser eine Junge ist ja nur ein Beispiel von vielen.
Und da hört meine Logik auf. Warum hab ich denn diese Jungs angezogen, die mir weh taten, mich verhöhnten oder mein Vertrauen missbrauchten? Reisen, sauste es durch meinen Kopf. Die Worte der Katze kamen mir in den Sinn. Die Seele reist. Von wo und wohin? Na, von einem Körper zum anderen, diese Antwort kam wie von allein. Hm, glaube ich nun an Wiedergeburt? Ja, scheint wohl so zu sein. Die Seele hat also etwas erlebt und versucht mir zu zeigen, guck mal, das muss noch aufgearbeitet werden.
Aber wie? Wie gehe ich damit um?
- Vergebung, - hörte ich auf einmal.
- Oh, ich bin so froh, dass du da bist! Meine süße Katze, mein Helfer in der Not.
- Vergebung, - wiederholte die Katze.
- Was meinst du damit? - fragte ich.
- Vergib den Menschen, die dir Leid angetan haben. Du hast sie selbst angezogen, du hast sie mehr oder weniger gezwungen, dich so zu behandeln. Und dann vergibst du auch noch dir selbst. Dass du diese Erfahrung machen wolltest und sie auch gemacht hast. Du wolltest dich auch mal dreckig und nutzlos und minderwertig fühlen. Bedanke dich bei den anderen, dass sie mitgewirkt haben.
In mir baute sich ein riesiger Widerstand gegen diese Aussage auf. Wie kann man nur so etwas sagen? Wie kann man einem Vergewaltigungsopfer z. B. nahe bringen, dass es sich so gewünscht hat? Ich höre da wohl nicht recht! Dann aber glätteten sich die Wogen wieder und ich erinnerte mich, wie ich auch letztes Mal nicht wahrhaben wollte, dass ich eine Seele habe.
- Darf ich kurz berichtigen? Du bist eine Seele und hast einen Körper. Du bist eine Seele, die eine menschliche Erfahrung macht.
- Das fühlt sich merkwürdig an, was du da sagst.
- Na klar, weil du mit dem Verstand hörst und nicht mit dem Herz.
- Aber weißt du was, wenn ich annehme, wirklich nur für eine kurze Zeit zulasse, dass das was du sagst, wahr ist. Dann sehe ich da einen Zusammenhang. Der zweite Punkt lässt sich auf das Selbe zurück führen, wie der erste. Das Ego hat Angst Macht über mich zu verlieren.
- Schlaues Mädchen, - und ich sah eine Katze zum ersten Mal grinsen.
- Du, da hab ich noch als dritten Punkt: Ich möchte eigentlich nichts verändern. Ich will nicht auf etwas verzichten um mein Idealgewicht halten zu können.
- Nun ja, da hast du eigentlich auch Recht damit. Man sollte nie etwas erzwingen. Je mehr du etwas willst, desto mehr Widerstand wird sich da aufbauen. Lass los, lass den Wunsch frei. Wenn die Zeit reif ist, wird es mit Leichtigkeit funktionieren. Derzeit brauchst du das Essen nicht nur weil dein Körper Energie in Form von Kalorien brauchst. Du brauchst Essen als Seelentröster. Es ist eine wunderbare Möglichkeit deine Emotionen in den Griff zu bekommen. Wenn du traurig bist, dann isst du Schokolade und deine Stimmung hellt sich auf. Oder du bist wütend und glaubst, dass du das nicht darfst, dann isst du um deine Wut zu unterdrücken. Dann gibt es ja noch Fälle, wenn du etwas aufschieben möchtest und dann isst um es heraus zu zögern. Oder du isst einfach, weil nichts anderes gerade da ist. Oder weil andere gerade essen. Es gibt so viele Fälle in denen du isst, obwohl du keinen echten Hunger hast. Und wie sollst du da nun wissen, ob du auf ein Nahrungsmittel verzichtest oder das Gefühl hast auf mehr zu verzichten.
Ich kapiere gerade überhaupt nicht, wovon diese Katze da gerade spricht. Ja, diese ganzen Fälle, die sie aufgezählt hat, die kenne ich auch. Aber wie hängt es damit zusammen, dass ich dann nicht auf Buchweizen verzichten möchte?
- Ganz einfach, meine Liebe. Überlege mal, womit du Buchweizen z. B. verbindest. Warum magst du den Geschmack so sehr?
- Es ist so nussig, so lecker einfach.
- Na gut, versuchen wir es von der anderen Seite. In welchen Situationen hast du Buchweizen gegessen und dabei was Schönes erlebt?


Gute Frage, kann ich aber überhaupt nicht beantworten. Buchweizen mit Milch und Zucker. Das war der Ausdruck von Liebe, den mir meine Mutter entgegen gebracht hat. Im Prinzip war aber jegliches Essen für sie die perfekte Möglichkeit uns ihre Liebe zu zeigen.
- Welches Ereignis kommt dir als erstes in den Sinn? - hackte die Katze weiter nach.
- Ich bin ungefähr zehn, vielleicht auch jünger, es ist Sommer, wir kommen vom Baden nach Hause, es kommt ein Gewitter auf, mich friert es leicht. Ich komme rein ins warme Zuhause, habe nach dem vielen Plantschen im Wasser einen Mordshunger. Und auf dem Tisch steht ein warmer Brei. Ich esse ihn und mir ist mollig warm. Draußen donnert es furchtbar, aber ich bin beschützt...
- Beschützt also, hm, das klingt höchst interessant. Geborgenheit? Sicherheit?
- Ja! Genau das ist es!
- Und kann es sein, dass dir das gerade im Leben fehlt? Ein sicherer Ort? Das Gefühl, dass du gehalten wirst?
Mir fiel die Kinnlade runter. Wie kann die Katze das bloß wissen? Woher? Ja, mir fehlte es in letzter Zeit immer wieder. Das Gefühl, das jemand mir den Rücken stärkt, mich unterstützt, ich fühlte keinen Rückhalt mehr von meinem Mann. Er versank in seinen Problemen, seinem Schmerz. Dabei wäre ich so gerne mal einfach schwach und klein, hätte mich so gerne in seine Arme geworfen, hätte gerne bei ihm Zuflucht gefunden. Tränen rollten mir die Wangen runter. Und doch wusste ich in dem Moment, ich bin nicht allein.
- Komm doch morgen in den Park. Da gibt es drei Kirschbäume, die im Dreieck stehen, dazwischen steht eine Bank. Lass uns dort morgen weiter reden.
- Gerne! Wie gut habe ich es, dass ich freiberuflich bin. Wie machen das eigentlich die Menschen, die viel arbeiten?
- Gar nicht. Sie sterben und haben sich nicht begriffen. Sie leben das, was ihnen die Gesellschaft vorschreibt, sie hetzen und rennen und schaffen doch nicht alles. Da hat der Verstand einfach noch die Oberhand.
- Und ich?
- Und du wirst immer bewusster. Bis morgen!

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