Montag, 27. April 2015

Kapitel 17: Wir tauchen tiefer in die Vergangenheit ein


Obwohl es heute richtig stressig zu ging, hab ich erstaunlicherweise ziemlich wenig gegessen. Ein Brot zum Frühstück, ein grüner Smoothie zum Brunch, ein gebackener Camembert zum Mittag und danach noch etwas Käsespätzle mit den Kindern, ein halber Apfel als Vesper und Grießbrei zum Abendessen. Abends dann noch zwei Kekse. Hey, das ist ja echt wenig. Leider nicht unbedingt intuitiv, eher schnell-schnell gegessen, aber ich habe in Stresssituation nicht übermäßig gegessen, das ist ein großer Fortschritt, finde ich!

Kapitel 17: Wir tauchen tiefer in die Vergangenheit ein
Oh, Katze, liebe Katze, wo bist du nur? Ich habe das Gefühl ich trete auf der Stelle, komme nicht voran. Bitte komm und hilf mir, bitte!
Meine Bitten blieben aber unbeantwortet. Die Katze schien verschwunden zu sein. Na gut, mir ist es inzwischen egal, ob ich für verrückt gehalten werde. So egal, dass ich in der Kuscheltierkiste meiner Töchter gewühlt habe und mir eine weiche Katze heraus geholt habe. Sie saß auf dem Tisch und ich kam mir etwas lächerlich vor.
- Ich brauche Hilfe. Ich möchte weiterkommen, - sagte ich leise.
Die Antwort kam wie aus der Kanone geschossen.
- Aber du kommst doch voran, - mir war, als ob es mein eigener Gedanke war, denn diesmal war ja keine echte Katze im Raum. Ich ließ mich auf den Dialog ein.

- Wo denn bitte sehr komme ich voran? - fragte ich.
- Noch vor einiger Zeit hast du dir gar nicht eingestehen können, dass du eine Essstörung hast, wolltest nur dein Gewicht reduzieren. Nun geht es ans Eingemachte.
Sie hat Recht. Wobei, wer ist denn nun sie? Mir wird irgendwie ein wenig schwindelig, wenn ich versuche heraus zu finden, mit wem ich da eigentlich rede. Ich habe das Gefühl, dass ich bald in die Psychiatrie gehöre.
- Mir fehlen die Anleitungen von der Katze, - stellte ich schließlich fest.
- Gut, dann kommt hier die nächste Aufgabe: Als du ein Kind warst, wer war für deine Ernährung zuständig? Wie war das Verhältnis zum Essen bei euch in der Familie? Wie wurden Feste gefeiert? Mit viel Essen oder spärlich?
Das ist ein schöner Ansatz. Ich wäre nicht drauf gekommen da mal genauer hin zuschauen.
Mein Vater hat sich an unserer Erziehung wenig beteiligt. Im Dorf als Selbstversorger hatten wir als Familie sowieso nicht so viel zusammen unternehmen können. Außer gemeinsamer Gartenarbeit und Kleinviehversorgung, versteht sich. Aber ich kann mich auch nicht erinnern, dass mein Vater sich irgendwo eingemischt hätte. Ärztebesuche machte mit mir meine Mutter. Mein Vater hat viel gearbeitet, genau wie meine Mutter. Und wenn sie dann zu Hause waren, blieb keine Kraft mehr für uns Kinder übrig.
Ich urteile nicht über sie. Ich verstehe sie sehr gut und bewundere sie auch. Ich könnte das nicht, so ein Leben führen. So voller Mühe und meistens am Rande eines Nervenzusammenbruchs, weil man nie zur Ruhe kommt. Daher weiß ich nicht so recht, wer für meine Ernährung zuständig war. Diese Art von Erziehung hatte für uns den großen Vorteil, dass wir viel Freiheit hatten. Wir durften sehr viel, denn die Eltern kriegen das nicht mit. Wir waren viel in der Natur und aßen viele wilde Beeren.
Wie meine Mutter es schaffte, dass wir immer ein warmes Essen hatten, kann ich mir einfach nicht vorstellen. Zehn bis zwölf Stunden in der Arbeit mit viel körperlichem Einsatz, Kleinvieh und Garten müssen auch noch erledigt werden, genäht hat sie für uns auch noch. Aber wir hatten immer reichlich zu essen. Und lecker war es, das weiß ich noch. Wir waren nicht reich, hatten aber immer mehr im Haushalt, als unsere Nachbarn oder die anderen Dorfbewohner. Die meisten Familien hatten ein Alkoholproblem.
Ich würde daher sagen, dass für meine Ernährung meine Mutter zuständig war. Sie kochte immer viel und fettig. Wobei das Klima auch anders war und du dort deine Fettpolster im Winter einfach brauchst. Ich habe das Gefühl, dass meine Mutter so ihre Liebe uns gegenüber ausdrücken wollte. Sie war sehr fürsorglich, aber auch teilweise sehr kontrollierend. Wenn ich mal nicht zum Essen kam, wo anders gegessen habe, dann war das schon fast ein Drama. Wir haben immer alle zusammen gegessen und das waren meistens schöne Augenblicke. Wir kamen am Abend zusammen und jeder erzählte, was er so erlebt hatte.
Nur in der Pubertät wurde das gemeinsame Essen für mich manchmal zur Qual. Erstens hatte ich so langsam das Gefühl, ich wäre zu dick und versuchte so weit es ging, meine Ernährung umzustellen. Das war manchmal mit Konflikten mit meiner Mutter verbunden. Sie war dann schon mal beleidigt, wenn ich die fettige Fleischsuppe nicht essen wollte.
Und zweitens hatte sich mein Bruder des öfteren über mich lustig gemacht. In dem Alter ist man ja grundsätzlich etwas empfindlich, was das Aussehen angeht. Und sogar später, da war ich schon 18 und hatte eine eigene Wohnung, da weiß ich, dass mein Bruder über meinen Freund gelästert hat, dass er keinen Führerschein hat. Warum ich den Typen herum kutschiere und so.
Was war die nächste Frage? Ach ja, Verhältnis zum Essen. Habe ich ja teilweise schon beantwortet. Essen hatte eine sehr wichtige Rolle in unserer Familie. Gemeinsame Mahlzeiten waren meiner Mutter heilig. Ich habe nie Freunde zum Essen mit gebracht. Das war nicht gern gesehen. Und was Leckeres schnell nach draußen mitnehmen, das war auch drin.
Die Portionen waren immer groß, es wurde meistens von meiner Mutter direkt am Herd auf die Teller gelegt. Zumindest kann ich mich nicht erinnern, dass sich jeder selbst bedient hätte. Erst später, schon hier, da kam es auf. Man sollte aufessen, das weiß ich noch, das wurde immer gelobt. Und wenn man den Brei nicht aufessen wollte, wurde getrickst. „Guck mal, was auf dem Teller gemalt ist. Iss schön auf, dann kannst du das Muster sehen.“ Wir hatten ein paar Kinderteller mit Märchenmotiven.
Gab es irgendwas, was ich nicht leiden konnte? Nein, es war immer alles lecker. Ich aß das, was mir heute als völlig unmöglich erscheint: Rohe Eier (aus eigener Haltung), viel weißen Speck, Schmalzgrieben und insgesamt viel Gekochtes. Früher schmeckten mir die Fleischsuppen wirklich, und der Kartoffelbrei mit Fleischfrikadellen dazu. Heute habe ich eine Abneigung gegen diese Sachen. Sie schmecken mir einfach nicht. Von Fleischbrühe kriege ich so ein Brummen im Magen und sie riecht auch irgendwie merkwürdig. Kartoffelbrei ist zu matschig, ich kaue gerne.
Und nun zum Thema Feste feiern. Es wurde mindestens die doppelte Menge Essen zubereitet. Viele verschiedene Speisen, manch so eine Speise gab es nur zu festlichen Anlässen, Fleischsalat zum Beispiel. An normalen Tagen war es zu aufwendig, an Geburtstagen wurde es aber gemacht. Ich kann mich nicht erinnern, wie wir die Geburtstage meiner Eltern gefeiert haben, nur meine eigenen. Sehr üppig gedeckter Tisch.
So ab zwölf, da weiß ich, dass wir auch bei den Erwachsenen groß gefeiert haben. Da waren allerdings meine Tante, mein Onkel und meine Großeltern schon hier. Und wieder viel Essen, wirklich sehr viel und reichhaltige Auswahl. Ich glaube ich habe mich bei jedem Fest richtig übervoll gefühlt. Meine Cousinen berichteten dasselbe, man saß mit vollem Bauch am Tisch und wusste, gleich kommt noch der Kuchen. Irgendwie hatte das auch noch Platz.
Das ist, glaube ich, eine furchtbare Gewohnheit. Nach dem Essen trinkt man bei uns immer Tee. Es gibt kein Dessert, aber dafür immer Tee mit Süßem dazu. Von meinem Elternhaus habe ich es übernommen, dass wir eine Keks- und eine Süßkramdose auf den Tisch stellen, wenn wir fertig mit dem Hauptessen sind. In diese Keksdose greife ich übrigens auch außerhalb der Mahlzeiten. Was weder für ein Wohlgefühl noch für die schlanke Linie fördernd ist.
Schlussfolgerung? Was meine Essgewohnheiten angeht, so bin ich meinen Eltern ähnlicher als ich dachte. Und was mir noch einfällt, so bin ich sport faul, weil meine Eltern nie Zeit für den Sport hatten. Ich habe es nicht erlebt, das es zum Alltag gehört, etwas für seinen Körper zu tun. Meine Eltern hatten keine Kraft mehr übrig und ich lebe einfach so, wie meine Eltern es getan haben. Obwohl sich die Umstände verändert haben. Ich könnte öfter schwimmen gehen und ich könnte auch länger schwimmen, aber meistens stehen für mich der Haushalt, die Kinder oder der Ehemann an erster Stelle. Tja, da offenbart sich mir noch eine Baustelle.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen