Sonntag, 12. April 2015

Kapitel 5: Allein im Kampf



Ja, so fühlte ich mich. Allein gelassen mit all dem, was ich auf meiner letzten archäologischen Reise zu mir selbst aus gebuddelt habe. Ich wusste nun, dass die Geschichte mit dem Abnehmen nicht so einfach ist. Dreimal die Woche ins Fitness-Studio und brav auf die Ernährung achten. Nee, das klappt bei mir nicht. Je mehr ich meinem Körper entreiße, desto mehr hält er sich an den restlichen Kilos fest. Und das ist ja auch gut so. Sackgasse. Einerseits will ich schlank sein, andererseits habe ich zehn Gründe, warum ich das nicht will. Will ich denn überhaupt schlank sein? Oder ist es vielleicht die Gesellschaft, die mich dahin schiebt? Das könnte durchaus sein. Würde ich wirklich leiden, wenn alle um mich so kräftig wären? Wenn dünne Oberschenkel versteckt werden müssten, wenn pummelige Knie „IN“ wären?

Ich hatte versucht an meiner Liste zu arbeiten, kam aber irgendwie nicht weiter. Ich wusste, dass ich durch die ständigen Abnehmversuche mein Leben auf später verlege. Mir war klar, dass solange ich nicht mein „Idealgewicht“ habe, ich einen Grund habe, mit mir unzufrieden zu sein. Und ja, ich bin zu geizig, um mir neue Klamotten zu kaufen. Wobei es ja eher ein etwas niedriges Selbstwertgefühl ist. Das war jedoch leider die einzige Erkenntnis.
Wenn ich hier nicht weiterkomme werde ich mir eben eine neue Liste machen. Warum will ich denn abnehmen? Wenn ich schon eine Kontra-Liste habe, dann muss es doch auch eine Pro-Liste geben, oder?
Warum will ich abnehmen?
1. Ich möchte kurze Sachen tragen. Shorts, kurze Röcke und Kleider. Die meisten Sachen, die man kaufen kann, sind kurz. Ganz selten gibt es knielange Kleider und Röcke. Ich möchte endlich nicht nur Selbstgenähtes tragen.
2. Ich mag meinen Bauchspeck nicht. Ich mag diese Falten nicht. Die hatte ich nicht, als ich fünf Kilo weniger wog.
3. Schlank sein ist „IN“, das ist stylisch. Hm, da wären wir wieder beim Thema Gesellschaft.
Oh, da hab ich eine Idee! Ich werde diese Liste zu Ende machen und werde mich dann fragen, welche Gründe meine sind und welche auferlegt.
4. Ich wäre dann beweglicher, dehnbarer. Die Fettpolster lassen mich einfach nicht das Bein so strecken, wie ich es gerne hätte.
5. Ich fühle mich besser im Bett. Traurige Wahrheit. Ich schäme mich für mich meine Falten. Die Katze hatte Recht, ich kann mich nicht so annehmen wie ich bin.
6. Ich könnte joggen gehen. Derzeit drückt mir das Gewicht auf die Kniegelenke. Aber warum will ich denn joggen? Was bringt mir das? Das will ich später klären.
7. Ich werde mehr Ausdauer haben. Wie das? Ich vermute, dass die Fettzellen mich davon abhalten lange zu laufen oder zu schwimmen. Naja, da wo Fett ist, da könnten ja Muskelfasern sein.
8. Ich hätte das Problem endlich gelöst. Seit ich fünfzehn bin, will ich weniger wiegen, schlanker sein. So ein Erfolgserlebnis wäre das wäre wohl toll. Schluss mit Quallen!
9. Ich hätte die Bewunderung der anderen für mich ganz allein. Wow, die hat es geschafft, so viel abzunehmen. Und da ist aber der Hacken: die Bewunderung kommt erst, wenn mindestens zehn Kilo geschmolzen sind. Alles andere fällt optisch (zumindest bei mir) nicht wirklich auf.
10. Ich will, ja ich will einfach Größe 42 haben. Besser wäre noch 38/40. Warum? Keine Ahnung. Wahrscheinlich, weil Größe 46 in unserer Gesellschaft, als eine Art Schwäche angesehen wird. Jeder kann schlank sein, so wird es uns vorgegaukelt.


So, und nun? Ach ja, ich wollte doch prüfen, wo es meine Absicht ist und wo es nicht die meine ist. Auf geht’s!
Zu Punkt 1: Würde ich denn kurze Sachen tragen wollen, wenn alle anderen knielang tragen würden? Würde ich mich darüber aufregen, dass ich nicht dazu passe, wenn es in jedem Laden längere Sachen zu kaufen gäbe? Und eigentlich ist es ja mal wieder meine eigene Begrenzung. Wie oft habe ich schon wirklich übergewichtige in kurzen Shorts gesehen? Ich habe da ein Urteil darauf. Das sieht nicht gut aus, sage ich mir selbst. Und wenn jemand wirklich so selbstbewusst ist, dass er sich traut kurze Sachen trägt? Gut, den Punkt kann ich also raus streichen.
Zu Punkt 2: Bauchspeck. Bilde ich mir da nicht zu viel ein? Habe ich überhaupt welchen? Dieses bisschen Bauch, ist es wirklich so schlimm? Und heißt es denn nicht bei Ayurveda, dass eine Frau einen weichen Bauch haben muss, weil sich da die ganze Energie sammelt? Wie soll sich das was sammeln, wenn alles angespannt ist? Ist dieser Punkt also auch kein „echter“ Grund? Hab ich im Prinzip einfach nur ein Problem etwas anzunehmen, was so ist, wie es ist. Etwas verändert sich und ich bin nicht flexibel genug es zu akzeptieren.
Zu Punkt 3: Eindeutig von der Gesellschaft her. Wenn Dicke „IN“ wären, dann wäre ich ein Schönheitsideal. Aber es gäbe ja dann noch genug Schlanke, ich meine die Naturschlanken. Wahrscheinlich würden die sich dann mit Essen voll stopfen, damit sie endlich zunehmen können. Ist schon lustig, wie es so läuft.
Zu Punkt 4: Das scheint der erste Grund zu sein, der von mir ausgeht. Ich fühle mich gut, wenn ich mein Bein in meine eigene Höhe strecken kann. Wenn ich meine Zehenspitzen berühren kann und meine Beine dabei durch gestreckt sind. Wobei, einen Moment mal. Was steckt hier dahinter? Welches Gefühl? Ich bin den anderen überlegen, ich kann das. Ups. Echt nur „Ups“. Mehr kann ich da nicht sagen. Bin ich so tief gesunken, dass ich für mein Glück unbedingt besser als jemand anderer sein muss? Kann ich nicht glücklich, einfach nur weil ich einfach lebe? Habe zwei Hände, zwei Beine, Augen, Ohren. Bin gesund und habe immer was zu essen. Habe auch noch ein Dach über dem Kopf. Wie undankbar bin ich dabei nur?!
Zu Punkt 5: Ist es meins? Naja, meinem Partner ist es ja egal. Er sagt, er merkt es mir nicht an, dass ich zugenommen habe. Also wieder das alte Spielchen „Ich sehe das, was du nicht siehst“. Ich bestrafe mich eigentlich selbst, wenn ich mir nicht erlaube Spaß im Bett zu haben, wenn ich zugenommen habe. Aber wenn mein Körper Fett angesammelt hat, dann wird er wohl einen Grund dazu haben. Hm, das ist also zwar meine Motivaviton, aber irgendwie stinkt es bis zum Himmel. Denn wenn ich nicht das Idealbild im Kopf hätte und mich mit diesem Ideal ständig vergleichen würde, dann würde ich nicht abnehmen wollen.
Zu Punkt 6: Wer sagt eigentlich, dass Joggen sein muss? Gab es denn nicht schon immer die Jäger und die Sammler? Wahrscheinlich wäre ich keine Jägerin gewesen, eher eine Sammlerin. Aber auch die waren doch nützlich, oder? Sportlich war ich nie. Warum will ich mich also zu etwas zwingen, was ich nicht bin? Um anzugeben. Ja, da wären wir wieder bei der Bewunderung anderer und bei dem Gefühl von Überlegenheit. Ich laufe jeden Tag fünf Kilometer und ihr nicht!
Zu Punkt 7: Mehr Ausdauer mit weniger Gewicht? Naja, wenn ich dabei das Fettgewebe wirklich in Muskeln umbaue, dann evtl. schon. Aber ist es meins? Habe ich da nicht irgendwie Druck von der Außenwelt? Man muss fit sein. Man muss sportlich sein. Ich wollte das seit der Pubertät und habe mich dabei doch nie gefragt, ob ich es auch will. Tut es mir gut? Sich zu bewegen macht schon Freude, ein schönes Gefühl die Muskeln im Körper zu fühlen. Oder wenn der Wind beim Inline-Skaten die Haare zerzaust. Man fliegt so dahin, man ist schnell, das ist schon toll. Und Adrenalin im Blut ist ja auch klasse. Ist also ein gespaltener Punkt. Ich könnte aber einfach Sport machen, weil ich Freude daran habe. Den anderen Hintergrund also einfach ausschalten.
Zu Punkt 8: So-so, ein Erfolgserlebnis wünsche ich mir also. Ist ja lustig. Hab ich denn im Leben sonst keinen Erfolg? Oder unterschätze ich mich da? Sehe ich nicht, was ich schon alles erreicht habe? Schenke ich dem keine Wertschätzung? Oder zu wenig? Und außerdem, wenn ich dieses Problem löse, so wird doch mein ehrgeiziger Verstand eine neue Beschäftigung finden, ein neues Problem.
Zu Punkt 9: Langsam komme ich dem Ende der Liste zu. Bewunderung wünsche ich mir also. Und ausgerechnet fürs Abnehmen. Au-weia. Gibt es denn nichts anderes für was ich bewundert werden kann? Und warum brauch ich das überhaupt? Glaube ich an mich so wenig, dass ich Bestätigung notwendig habe? Ja, bewundert mich, dann fühle ich mich wertvoll. Und wenn ihr das nicht tut, dann fühle ich mich nieder geschlagen. Was hat die Katze da vom Ego erzählt. Irgendwie riecht es hier ziemlich danach.
Zu Punkt 10: Wer hat eigentlich gesagt, dass Größe 46 schlecht ist? Und woher diese Freiheit etwas zu bewerten? Wie kommen diese Modedesigner nur dazu sich so für schlanke Modells zu interessieren? Ich bin doch diejenige, die bei denen was kauft. Und wenn die meine Größe nicht haben, Pech für sie! Weniger Profit für sie.
So, die Liste ist fertig und ich bin total durcheinander. Ein einziger Punkt, der eindeutig meiner ist. Ich möchte einen gesunden Körper. Aber gesund heißt nicht schlank. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ich irgendwann 500 Meter schwimmen kann, aber nicht schlanker bin als jetzt. Möglicherweise wird der Körper straffer sein, aber auch das ist nicht mal garantiert. Ich will also abnehmen, damit mein Körper dehnbarer ist. Na dann, dehne dich doch schon mal jeden Morgen und Abend. Und überhaupt bei jeder Gelegenheit. Wer hält dich davon ab? Beim Faschingsumzug sehe ich immer wieder ein sehr kräftiges Mädchen, das den Spagat perfekt beherrscht.
Ich komme nicht weiter. Habe das Gefühl, dass ich auf der Stelle trete. Ach, Katze, liebe Katze, wo bist du nur?

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