Ja, so
fühlte ich mich. Allein gelassen mit all dem, was ich auf meiner
letzten archäologischen Reise zu mir selbst aus gebuddelt habe. Ich
wusste nun, dass die Geschichte mit dem Abnehmen nicht so einfach
ist. Dreimal die Woche ins Fitness-Studio und brav auf die Ernährung
achten. Nee, das klappt bei mir nicht. Je mehr ich meinem Körper
entreiße, desto mehr hält er sich an den restlichen Kilos fest. Und
das ist ja auch gut so. Sackgasse. Einerseits will ich schlank sein,
andererseits habe ich zehn Gründe, warum ich das nicht will. Will
ich denn überhaupt schlank sein? Oder ist es vielleicht die
Gesellschaft, die mich dahin schiebt? Das könnte durchaus sein.
Würde ich wirklich leiden, wenn alle um mich so kräftig wären?
Wenn dünne Oberschenkel versteckt werden müssten, wenn pummelige
Knie „IN“ wären?
Ich
hatte versucht an meiner Liste zu arbeiten, kam aber irgendwie nicht
weiter. Ich wusste, dass ich durch die ständigen Abnehmversuche mein
Leben auf später verlege. Mir war klar, dass solange ich nicht mein
„Idealgewicht“ habe, ich einen Grund habe, mit mir unzufrieden zu
sein. Und ja, ich bin zu geizig, um mir neue Klamotten zu kaufen.
Wobei es ja eher ein etwas niedriges Selbstwertgefühl ist. Das war
jedoch leider die einzige Erkenntnis.
Wenn
ich hier nicht weiterkomme werde ich mir eben eine neue Liste machen.
Warum will ich denn abnehmen? Wenn ich schon eine Kontra-Liste habe,
dann muss es doch auch eine Pro-Liste geben, oder?
Warum
will ich abnehmen?
1. Ich
möchte kurze Sachen tragen. Shorts, kurze Röcke und Kleider. Die
meisten Sachen, die man kaufen kann, sind kurz. Ganz selten gibt es
knielange Kleider und Röcke. Ich möchte endlich nicht nur
Selbstgenähtes tragen.
2. Ich
mag meinen Bauchspeck nicht. Ich mag diese Falten nicht. Die hatte
ich nicht, als ich fünf Kilo weniger wog.
3.
Schlank sein ist „IN“, das ist stylisch. Hm, da wären wir wieder
beim Thema Gesellschaft.
Oh,
da hab ich eine Idee! Ich werde diese Liste zu Ende machen und werde
mich dann fragen, welche Gründe meine sind und welche auferlegt.
4. Ich
wäre dann beweglicher, dehnbarer. Die Fettpolster lassen mich
einfach nicht das Bein so strecken, wie ich es gerne hätte.
5. Ich
fühle mich besser im Bett. Traurige Wahrheit. Ich schäme mich für
mich meine Falten. Die Katze hatte Recht, ich kann mich nicht so
annehmen wie ich bin.
6. Ich
könnte joggen gehen. Derzeit drückt mir das Gewicht auf die
Kniegelenke. Aber warum will ich denn joggen? Was bringt mir das? Das
will ich später klären.
7. Ich
werde mehr Ausdauer haben. Wie das? Ich vermute, dass die Fettzellen
mich davon abhalten lange zu laufen oder zu schwimmen. Naja, da wo
Fett ist, da könnten ja Muskelfasern sein.
8. Ich
hätte das Problem endlich gelöst. Seit ich fünfzehn bin, will ich
weniger wiegen, schlanker sein. So ein Erfolgserlebnis wäre das wäre
wohl toll. Schluss mit Quallen!
9. Ich
hätte die Bewunderung der anderen für mich ganz allein. Wow, die
hat es geschafft, so viel abzunehmen. Und da ist aber der Hacken: die
Bewunderung kommt erst, wenn mindestens zehn Kilo geschmolzen sind.
Alles andere fällt optisch (zumindest bei mir) nicht wirklich auf.
10. Ich
will, ja ich will einfach Größe 42 haben. Besser wäre noch 38/40.
Warum? Keine Ahnung. Wahrscheinlich, weil Größe 46 in unserer
Gesellschaft, als eine Art Schwäche angesehen wird. Jeder kann
schlank sein, so wird es uns vorgegaukelt.
So, und
nun? Ach ja, ich wollte doch prüfen, wo es meine Absicht ist und wo
es nicht die meine ist. Auf geht’s!
Zu
Punkt 1: Würde ich denn kurze Sachen tragen wollen, wenn alle
anderen knielang tragen würden? Würde ich mich darüber aufregen,
dass ich nicht dazu passe, wenn es in jedem Laden längere Sachen zu
kaufen gäbe? Und eigentlich ist es ja mal wieder meine eigene
Begrenzung. Wie oft habe ich schon wirklich übergewichtige in kurzen
Shorts gesehen? Ich habe da ein Urteil darauf. Das sieht nicht gut
aus, sage ich mir selbst. Und wenn jemand wirklich so selbstbewusst
ist, dass er sich traut kurze Sachen trägt? Gut, den Punkt kann ich
also raus streichen.
Zu
Punkt 2: Bauchspeck. Bilde ich mir da nicht zu viel ein? Habe ich
überhaupt welchen? Dieses bisschen Bauch, ist es wirklich so
schlimm? Und heißt es denn nicht bei Ayurveda, dass eine Frau einen
weichen Bauch haben muss, weil sich da die ganze Energie sammelt? Wie
soll sich das was sammeln, wenn alles angespannt ist? Ist dieser
Punkt also auch kein „echter“ Grund? Hab ich im Prinzip einfach
nur ein Problem etwas anzunehmen, was so ist, wie es ist. Etwas
verändert sich und ich bin nicht flexibel genug es zu akzeptieren.
Zu
Punkt 3: Eindeutig von der Gesellschaft her. Wenn Dicke „IN“
wären, dann wäre ich ein Schönheitsideal. Aber es gäbe ja dann
noch genug Schlanke, ich meine die Naturschlanken. Wahrscheinlich
würden die sich dann mit Essen voll stopfen, damit sie endlich
zunehmen können. Ist schon lustig, wie es so läuft.
Zu
Punkt 4: Das scheint der erste Grund zu sein, der von mir ausgeht.
Ich fühle mich gut, wenn ich mein Bein in meine eigene Höhe
strecken kann. Wenn ich meine Zehenspitzen berühren kann und meine
Beine dabei durch gestreckt sind. Wobei, einen Moment mal. Was steckt
hier dahinter? Welches Gefühl? Ich bin den anderen überlegen, ich
kann das. Ups. Echt nur „Ups“. Mehr kann ich da nicht sagen. Bin
ich so tief gesunken, dass ich für mein Glück unbedingt besser als
jemand anderer sein muss? Kann ich nicht glücklich, einfach nur weil
ich einfach lebe? Habe zwei Hände, zwei Beine, Augen, Ohren. Bin
gesund und habe immer was zu essen. Habe auch noch ein Dach über dem
Kopf. Wie undankbar bin ich dabei nur?!
Zu
Punkt 5: Ist es meins? Naja, meinem Partner ist es ja egal. Er sagt,
er merkt es mir nicht an, dass ich zugenommen habe. Also wieder das
alte Spielchen „Ich sehe das, was du nicht siehst“. Ich bestrafe
mich eigentlich selbst, wenn ich mir nicht erlaube Spaß im Bett zu
haben, wenn ich zugenommen habe. Aber wenn mein Körper Fett
angesammelt hat, dann wird er wohl einen Grund dazu haben. Hm, das
ist also zwar meine Motivaviton, aber irgendwie stinkt es bis zum
Himmel. Denn wenn ich nicht das Idealbild im Kopf hätte und mich mit
diesem Ideal ständig vergleichen würde, dann würde ich nicht
abnehmen wollen.
Zu
Punkt 6: Wer sagt eigentlich, dass Joggen sein muss? Gab es denn
nicht schon immer die Jäger und die Sammler? Wahrscheinlich wäre
ich keine Jägerin gewesen, eher eine Sammlerin. Aber auch die waren
doch nützlich, oder? Sportlich war ich nie. Warum will ich mich also
zu etwas zwingen, was ich nicht bin? Um anzugeben. Ja, da wären wir
wieder bei der Bewunderung anderer und bei dem Gefühl von
Überlegenheit. Ich laufe jeden Tag fünf Kilometer und ihr nicht!
Zu
Punkt 7: Mehr Ausdauer mit weniger Gewicht? Naja, wenn ich dabei das
Fettgewebe wirklich in Muskeln umbaue, dann evtl. schon. Aber ist es
meins? Habe ich da nicht irgendwie Druck von der Außenwelt? Man muss
fit sein. Man muss sportlich sein. Ich wollte das seit der Pubertät
und habe mich dabei doch nie gefragt, ob ich es auch will. Tut es mir
gut? Sich zu bewegen macht schon Freude, ein schönes Gefühl die
Muskeln im Körper zu fühlen. Oder wenn der Wind beim Inline-Skaten
die Haare zerzaust. Man fliegt so dahin, man ist schnell, das ist
schon toll. Und Adrenalin im Blut ist ja auch klasse. Ist also ein
gespaltener Punkt. Ich könnte aber einfach Sport machen, weil ich
Freude daran habe. Den anderen Hintergrund also einfach ausschalten.
Zu
Punkt 8: So-so, ein Erfolgserlebnis wünsche ich mir also. Ist ja
lustig. Hab ich denn im Leben sonst keinen Erfolg? Oder unterschätze
ich mich da? Sehe ich nicht, was ich schon alles erreicht habe?
Schenke ich dem keine Wertschätzung? Oder zu wenig? Und außerdem,
wenn ich dieses Problem löse, so wird doch mein ehrgeiziger Verstand
eine neue Beschäftigung finden, ein neues Problem.
Zu
Punkt 9: Langsam komme ich dem Ende der Liste zu. Bewunderung wünsche
ich mir also. Und ausgerechnet fürs Abnehmen. Au-weia. Gibt es denn
nichts anderes für was ich bewundert werden kann? Und warum brauch
ich das überhaupt? Glaube ich an mich so wenig, dass ich Bestätigung
notwendig habe? Ja, bewundert mich, dann fühle ich mich wertvoll.
Und wenn ihr das nicht tut, dann fühle ich mich nieder geschlagen.
Was hat die Katze da vom Ego erzählt. Irgendwie riecht es hier
ziemlich danach.
Zu
Punkt 10: Wer hat eigentlich gesagt, dass Größe 46 schlecht ist?
Und woher diese Freiheit etwas zu bewerten? Wie kommen diese
Modedesigner nur dazu sich so für schlanke Modells zu interessieren?
Ich bin doch diejenige, die bei denen was kauft. Und wenn die meine
Größe nicht haben, Pech für sie! Weniger Profit für sie.
So, die
Liste ist fertig und ich bin total durcheinander. Ein einziger Punkt,
der eindeutig meiner ist. Ich möchte einen gesunden Körper. Aber
gesund heißt nicht schlank. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass
ich irgendwann 500 Meter schwimmen kann, aber nicht schlanker bin als
jetzt. Möglicherweise wird der Körper straffer sein, aber auch das
ist nicht mal garantiert. Ich will also abnehmen, damit mein Körper
dehnbarer ist. Na dann, dehne dich doch schon mal jeden Morgen und
Abend. Und überhaupt bei jeder Gelegenheit. Wer hält dich davon ab?
Beim Faschingsumzug sehe ich immer wieder ein sehr kräftiges
Mädchen, das den Spagat perfekt beherrscht.
Ich
komme nicht weiter. Habe das Gefühl, dass ich auf der Stelle trete.
Ach, Katze, liebe Katze, wo bist du nur?
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