Donnerstag, 23. April 2015

Kapitel 13: Eine Reise durch den Körper


Die Tage verstrichen und am Abend sah ich oft zurück. Ja, heute habe ich wieder einige kleine Schritte nach vorne getan. Und wenn es nicht so war, dann war es auch in Ordnung. Wenn mir bewusst wurde, dass ich hier in dieser Situation nun gerade anders handele, dann habe ich es mir auch klar gemacht. Nein, gelobt habe ich mich noch nicht, so weit bin ich noch nicht. 
 
Und wenn es noch nicht ging, dann wusste ich, dass ich zumindest es schon mal wahr nehme, dass es nicht unbedingt richtig ist. Es ist gerade nicht richtig diesen Keks zu knabbern. Ich habe gerade überhaupt keinen Hunger oder ich bin sogar schon sehr satt. Das war neu. Ich verstand, dass ich jetzt gerade esse, obwohl mein Körper es nicht braucht. Manchmal gelang es mir auch zu verstehen, was ich gerade wirklich brauche. Ruhe, Abgeschiedenheit oder umgekehrt etwas Abwechselung, damit mir nicht langweilig ist.

Und so war es auch heute. Ich war irgendwie durch den Wind. Was mich genau beschäftige, konnte ich nicht sagen. Ich war müde, gereizt, überspannt, irgendwie ein wenig apathisch. Als die Große auch im Bett war, ließ ich mir ein warmes Bad ein. Mit einer Farbtablette von den Kindern, das Wasser war dadurch so schön blau geworden. Dann noch eine Packung Meersalz rein. Hm, was fehlt noch? Au-ja, ein paar Tropfen Duftöl. Lavendel würde jetzt gut tun, hatte aber nur Bergamotte da. Geht auch.
Es tat gut in der Badewanne zu liegen, das warme Wasser zu spüren, den angenehmen Duft einzuatmen, die Seife auf der Haut mit einem Peelinghandschuh zu verteilen. Ich ließ los und entspannte meinen ganzen Körper, alle Muskeln, wirklich alle. Es tat einfach gut. Als ich die Augen öffnete, weil ich einen Lufthauch spürte, sah ich wie meine graue Katze sich durch den Türspalt zwängte und mich neugierig betrachtete.
- Kannst du die Tür wieder zu machen? - fragte ich ohne zu grüßen. - Ich mag es, wenn es warm im Bad bleibt, wenn ich bade.
Die Katze stupste mit ihrem Hintern gegen die Tür und es strömte keine kalte Luft mehr rein. Mit einem Satz war sie auf der Waschmaschine und machte es sich auf den Handtüchern gemütlich.
- Ich kann dich so nicht sehen, magst du dich vielleicht da auf den Hocker setzen? - fragte ich wieder.
- Einen guten Abend, - grüßte sie, als ob sie mich nicht gehört hätte. - Ich sehe, du lässt es dir richtig gut gehen. Dann komme ich ja zum gerade richtigen Moment.
- Richtigen Moment wofür?
- Wir machen mit dir eine Reise durch deinen Körper.
- Klingt interessant. Soll ich die Augen schließen?
Sie nickte und ich sank noch etwas tiefer ins Wasser.
- Du bist gerade sehr zufrieden, nicht wahr? Suche aber bitte noch einen schönen Moment aus deinem Leben. Einen Tag oder ein Erlebnis, als du wirklich überglücklich warst.
Nun nickte ich und wühlte ein wenig in meiner Gedächtniskiste herum. Ja, da ist was. Dieser Sonnenuntergang in den Bergen. Das war herrlich.
- Gut. Und nun stelle dir vor, du bist eine Königin. Eine geliebte Königin. Deine Untertanen lieben dich vom ganzen Herzen. Und du liebst sie. Du bist wie eine fürsorgliche Mutter für sie alle.
Ich grinste. Das hört sich so märchenhaft an. Aber ich tat es und mich überkam ein wohliges Gefühl.
- So und nun verlange ich noch ein gutes Stück deiner Fantasie. Stelle dir vor, deine Untertanen sind die Zellen in deinem Körper. Wandere mit deiner Aufmerksamkeit zu deinen Füßen. Begrüße dort die Zellen so, wie eine Königin es bei ihren Untertanen machen würde.
Ich schmunzelte. Ja, das lief gut. Meine Vorstellungskraft machte prima mit. Ich sah eine jubelnde Menge, sie alle freuten sich so sehr mich zu sehen. Waren alle überglücklich. Und sie liebten mich, das fühlte ich. Da schickte ich ihnen auch Liebe zurück. Sofort standen mir ein paar Tränen in den Augenwinkeln. Tränen der Freude.
- Sehr schön. Du machst es wirklich sehr gut. Wandere nun weiter hinauf, zu den Waden. Widme dich jedem Knie im Einzelnen. Und die Oberschenkel verdienen es auch, geliebt zu werden.
Oh, aber was ist das? Als ich höher kam und beim Po war, da waren die Untertanen nicht unbedingt glücklich. Da sah es wie in einem Exil aus. Verstoßene. Sie sahen mich ohne jede Hoffnung an und ich empfand auf einmal eine unglaubliche Reue. Wie konnte ich sie nur so lange verstoßen? Wie von Sinnen fiel ich auf die Knie und bat um Vergebung. Die Untertanen kamen mir näher, umarmten mich und wir heulten wie verrückt.
- Was war das? - fragte ich die Katze ohne die Augen zu öffnen.
- Überlege mal wie dein Verhältnis zu deinem Po war. Du warst immer unzufrieden, wolltest ihn immer kleiner haben. Er sollte straffer sein. Du hast sie alle verdammt.
- Es tut mir so Leid, - konnte ich nur aus mir heraus drücken.
- Sie haben dir verziehen. Sie lieben dich ja auch. Nun liegt es noch an dir, sie lieb zu gewinnen.
- Einen Moment mal! Da passiert gerade was! Da sterben welche, die gehen...
Ich konnte es nicht fassen. Nein, es war kein tragischer Tod von einzelnen. Oh je, nun werde ich wohl völlig verrückt. Ich rede nicht nur mit Katzen, ich sehe auch noch Zellen als meine Untertanen. Als ob das für die Klapsmühle nicht reichen würde, nein, die sterben auch noch. Mir wurde etwas mulmig.
- Ihr Menschen, ihr seid immer so ernsthaft! - kritisierte mich meine Katze. - Sieh es doch als Spiel an. Oder als ein Theaterstück. Hör auf, so „erwachsen“ zu sein, lass deinem Kind doch auch mal ein wenig Spaß! Wolltest du etwa als kleines Mädchen nie eine Königin sein?
- Nein, wenn schon, dann Kaiserin, - scherzte ich zurück und ließ noch etwas heißes Wasser ins Bad ein. - Wie geht es denn weiter, - fragte ich gut gelaunt.
- Woher soll ich es wissen? Es ist dein Körper, also guck doch bitte schön selber...
- Okay, den Hintern und insgesamt den ganzen unteren Teil meines Körpers habe ich fertig. Wollen wir mal weiter hoch gucken.
Im Darm war alles ruhig. Keine Bewunderung, keine Jubelschreie, kein Jauchzen der Freude. Keine Liebe. Ich holte mir meine schönste Erinnerung zurück und sandte bewusst einen Happen Liebe in den unteren Bauch. Die Türen blieben verschlossen. Waren alle Untertanen zu beschäftigt um mich zu begrüßen?
Nun gut, gehen wir noch ein Stück weiter hoch. Im Bereich des Magens lernte ich das Staunen neu. Es sah wie eine Burg aus, die einen Krieg erwartet. Die Untertanen sahen von den Burgzinnen zu mir herunter. Sie hatten keine Angst, nein, sie waren nur bereit zu kämpfen.
Es tut mir so leid! - wollte ich rufen und wusste, dass werden die mir nicht glauben. Zu oft habe ich denen versprochen, dass keine Diät mehr kommt, dass kein Hunger mehr droht, dass das Essen ihnen nicht wieder genommen wird. Nein, hier müssen Verhandlungen geführt werden. Friedensverhandlungen.
Wir werden einen Pakt schließen. Ich werde mein Bestes daran setzen das Problem zu lösen. Ich werde meinen Körper keinem Hunger aussetzen. Und mein Magen ist es mir wert, dass ich ihm die Lebensmittel gebe, die er braucht. Apropos, Lebensmittel. Was brauchst du, lieber Magen? Was verdaust du am besten?
Die Antwort erstaunte mich zutiefst. Alles. Ja, meinem Magen ist es wirklich egal, ob es sich nun um Fleisch oder Kuchen handelt. Er kann alles verdauen. Er ist nur froh, dass er was hat. Hm, vielleicht, wenn mein Körper sich sicher fühlt, wenn er meint, nun kommt kein Hunger mehr, vielleicht signalisiert er mir dann, was er genau braucht. Nun ist es ja so, dass er so voller Angst ist, dass ihm wieder die lebensnotwendigen Nährstoffe fehlen, dass er alles verwertet, was ihm in die Quere kommt.
Ja, das ist gut gegangen. Wir haben uns wieder versöhnt. Mein Magen und ich. Ich öffnete die Augen. Die Katze war weg, stattdessen stand meine Große neben der Badewanne mit dem inzwischen nur noch lauwarmen Wasser.
- Darf ich zu dir rein? - fragte sie zaghaft.
- Liebes, das Wasser ist schon kalt. Ich steige jetzt eh raus und dann kuscheln wir, okay?
Ach, Katze, meine liebe Miezi, danke, dass es dich gibt. Wie hätte ich sonst so eine interessante Reise unternommen.

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