Am nächsten Tag nach dem Gespräch mit der Katze hatte ich viel zu tun. Am Tag darauf ging es auch ziemlich holprig zu. Und so vergaß ich meine Liste. Es vergingen Tage, dann Wochen. Es kamen wieder Freßanfälle und manchmal folgten ihnen auch Brechattacken. Ich lebte also, so wie ich immer davor schon gelebt hatte: sehr turbulent. Mal himmelhochjauchzend mal zu Tode betrübt.
Bis
eines Tages die Katze wieder auftauchte. Es war ein Sonntag. Der
schlimmste Tag der Woche. Neben Samstag natürlich. Während der
Woche hab ich Vormittag meine Ruhe, meine Zeit für mich, keiner will
was von mir, kann tun und lassen, worauf ich Lust habe. Da ich
freiberuflich bin, funktioniert das Geldverdienen auch so ganz
nebenbei. Zurück zum Sonntag. Ich fühle mich völlig durcheinander,
nach dem Frühstück fahren die Kinder nirgendwohin, der Mann ist
auch zu Hause. Ich habe das Gefühl, ich muss mich mit denen
beschäftigen, muss sie irgendwie unterhalten oder ihnen was Gutes
tun. Und sie spiegeln mich wunderbar. Sie kommen ständig und wollen
was von mir. Spätestes nach dem Mittagessen bin ich völlig fertig.
So auch
diesmal. Ich habe mich überwunden und hab mich kurz hingelegt. Ich
schlafe da nicht, ich stecke mir nur die Ohrhörer rein und lass mich
von leiser Musik berieseln. Und auf einmal saß sie auf meiner
Fensterbank und putzte sich das Fell mit der Zunge. Wie kam sie
dahin? Ich war aber so froh sie wieder zu sehen, dass ich nicht
nachfragte.
-
Hallo! Schön, dass du da bist – sagte ich in Gedanken zu der
Katze.
- Sag
mal, wie heißt du eigentlich? - fragte ich sie.
- Wer
will da wissen? Dein Verstand oder deine Seele?
- Meine
Seele?
-
Falsch, die weiß alle Antworten. Namen sind unwichtig. Ich bin die
graue Katze.
- Du
hast Recht, das reicht mir völlig.
- Wie
geht es dir? - fragte die Katze.
- Gut,
- antwortete ich automatisch.
-
Wirklich? - fragte sie nach.
Nein,
mir geht es gerade überhaupt nicht gut. Ich habe mich über
angestrengt, bin ausgelaugt, müde und kraftlos. Warum sage ich nur
gleich „gut“?
- Du
hast es nicht anders gelernt. Stark sein ist gut, das ist dein Motto,
was?
Das ist
gut, dass sie mich das fragt, denn da denke ich an meine Liste.
- Du,
diese Liste, die liegt mir wie ein Stein auf dem Herzen.
-
Wieso?
- Ich
begreife so vieles nicht, kann so vieles nicht annehmen. Und was soll
ich mit damit überhaupt anfangen?
- Du
lernst dich neu kennen. Bisher stand dein Verstand dazwischen, nun
erfährst du dich so wie du bist. Ist nicht einfach, aber du schaffst
es.
- Woher
weißt du das? Das sagst du wahrscheinlich nur so...
- Deine
Seele nimmt nur soviel mit, wie du verarbeiten kannst. Die Türen
öffnen sich nur soweit, wie du es gerade brauchst.
- Ist
das etwa nur die Spitze vom Eisberg?
Die
Katze nickte und war mit ihrer Fellpflege endlich fertig.
-
Möchtest du die Punkte mit mir zusammen durchgehen? - fragte sie.
- Ja,
gerne. Was auch immer du damit meinst. Ich glaube ich komme langsam
auf den Geschmack vom „Sich-Neu-Kennen-Lernen“.
- Punkt
Nr. 1...
- Ich
halte an dem Problem fest, weil es mir Halt im Leben gibt. Ich
brauche es.
- Du
nicht, dein Ego schon. So hat es nämlich eine Menge Macht über
dich.
- Du
sagst immer „Ego“ und „Verstand“ und „Seele“. Irgendwie
kann ich mit den Wörtern überhaupt nichts anfangen.
- Du
hast einen Körper, also Muskeln, Sehnen, Fettgewebe, Organe, Blut
usw. Dann hast du noch eine Seele. Diese allumfassende Kraft, die
diesen faszinierenden Organismus steuert. Du musst an den Strom nicht
glauben, - fügte die Katze hinzu, als sie mein Kopfschütteln sah.
- Aber
wenn du zwei Finger in die Steckdose steckst, dann kriegst du einen
Stromschlag. Also, einen Körper und eine Seele hast du, das ist zwar
ein sehr vereinfachtes Bild, aber für den Anfang reicht es. Außerdem
hast du einen Verstand, ein Ego. Die Ansammlung all deiner
Erfahrungen, die zu einem Gesamten verschmolzen sind. Vielleicht hat
dir ein Junge mal mit einer runden Brille geholfen, du wirst Menschen
mit einer runden Brille immer sympathisch finden. Das ist dein
Verstand, der dich da steuert. Da er aber keinen Zugang zur Seele
hat, also zum echten Wissen, kann er sich eben manchmal auch
täuschen.
- Wenn
jemandem also Geld wichtiger als Menschenleben sind, dann ist er im
Ego?
- Ja,
genau. Und so ist es bei dir. Wenn du kein Problem mit deinem Körper
hast, wenn du ihn so angenommen hast, wie er ist, schlank oder
pummelig, wie auch immer, dann hat der Verstand eine Abteilung in der
AG „Mensch“ weniger, verstehst du?
Ja, ich
verstand es sehr gut. Das klang alles sehr logisch. Aber...
- Sag
mal, den Körper fühle ich, ich weiß, dass ich einen Verstand habe,
weil ich denke und mir Sachen merken kann. Aber die Seele, hm, da
sehe ich nur Bilder aus Filmen, wenn jemand stirbt und so eine
durchsichtige Gestalt dem Körper entsteigt.
Ich
könnte schwören, die Katze hat geschmunzelt.
- Naja,
so ganz unrecht haben die Filmemacher ja nicht. Aber das ist nur ein
Energiefeld, dass mit der Seele zusammen reist. Die Seele selbst lebt
in deinem Herz.
Okay,
nun wird es mir zu bunt! Energiefeld? Reisen? Die Katze spricht ja
so, als ob ich hier auf der Erde nur auf Durchreise bin. Kurzer
Zwischenstop, sozusagen. Und im Herz soll eine Seele sein? Die Katze
fühlte meine Skepsis und sagte:
-
Schließe deine Augen und fühle mal in deine Finger hinein. Fühle
mal rein, was die Finger so von ihnen ausfüllt. Es kann sich kalt
anfühlen oder warm oder wie so ein Gelee um die Finger oder wie ein
Strömen durch die Finger. Jeder nimmt es anders wahr.
Ich
machte es so, wie ich die Katze gesagt hatte und brach aber das
Experiment ab.
- Ja,
dein Ego wehrt sich. Es will der Alleingesellschafter sein, aber das
kommt schon noch. Es denkt gerade wohl in dir: „Alles Einbildung!“.
Lass es nur denken. Mach die Übung immer wieder. Fühle in die
Finger rein, in die Hand. Wenn das gut geht, dann dehne diese
Wahrnehmung auf den Bereich bis zum Ellbogen. Und wenn du das gut
beherrschst, dann bis zur Schulter ausdehnen. Irgendwann kannst du
die zweite Hand dazu nehmen und dann die Füße mit den Beinen
erarbeiten. Später die Hüfte, den unteren Bauch und den Rücken,
danach den oberen Bauch, die Brust und die Schultern. Zuletzt wirst
du dich an den Kopf dran machen. Da gibt es unheimlich viel zu
fühlen. Zähne, Lippen, Wangen, Nase, Ohren, Augen, Haare. Und dann,
ja dann kannst du den ganzen Körper fühlen. Schönes Gefühl, glaub
mir.
- Und
das soll mir im Kampf mit dem Ego helfen?
- Nein,
du sollst ja gar nicht kämpfen. Lass es einfach zu. Arbeite auf
einer anderen Ebene einfach weiter. Für heute reicht es dann
erstmal.
- Und
den Rest der Liste? Wann machen wir den?
- Wir?
Tu doch nicht so kindisch, du schaffst es auch alleine.
Und
schwups, war sie wieder aus dem Fenster.
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