Donnerstag, 9. April 2015

Kapitel 2: Die Reise ins Ich geht weiter


Am nächsten Tag nach dem Gespräch mit der Katze hatte ich viel zu tun. Am Tag darauf ging es auch ziemlich holprig zu. Und so vergaß ich meine Liste. Es vergingen Tage, dann Wochen. Es kamen wieder Freßanfälle und manchmal folgten ihnen auch Brechattacken. Ich lebte also, so wie ich immer davor schon gelebt hatte: sehr turbulent. Mal himmelhochjauchzend mal zu Tode betrübt.
Bis eines Tages die Katze wieder auftauchte. Es war ein Sonntag. Der schlimmste Tag der Woche. Neben Samstag natürlich. Während der Woche hab ich Vormittag meine Ruhe, meine Zeit für mich, keiner will was von mir, kann tun und lassen, worauf ich Lust habe. Da ich freiberuflich bin, funktioniert das Geldverdienen auch so ganz nebenbei. Zurück zum Sonntag. Ich fühle mich völlig durcheinander, nach dem Frühstück fahren die Kinder nirgendwohin, der Mann ist auch zu Hause. Ich habe das Gefühl, ich muss mich mit denen beschäftigen, muss sie irgendwie unterhalten oder ihnen was Gutes tun. Und sie spiegeln mich wunderbar. Sie kommen ständig und wollen was von mir. Spätestes nach dem Mittagessen bin ich völlig fertig.
So auch diesmal. Ich habe mich überwunden und hab mich kurz hingelegt. Ich schlafe da nicht, ich stecke mir nur die Ohrhörer rein und lass mich von leiser Musik berieseln. Und auf einmal saß sie auf meiner Fensterbank und putzte sich das Fell mit der Zunge. Wie kam sie dahin? Ich war aber so froh sie wieder zu sehen, dass ich nicht nachfragte.
- Hallo! Schön, dass du da bist – sagte ich in Gedanken zu der Katze.
- Sag mal, wie heißt du eigentlich? - fragte ich sie.
- Wer will da wissen? Dein Verstand oder deine Seele?
- Meine Seele?
- Falsch, die weiß alle Antworten. Namen sind unwichtig. Ich bin die graue Katze.
- Du hast Recht, das reicht mir völlig.
- Wie geht es dir? - fragte die Katze.
- Gut, - antwortete ich automatisch.
- Wirklich? - fragte sie nach.
Nein, mir geht es gerade überhaupt nicht gut. Ich habe mich über angestrengt, bin ausgelaugt, müde und kraftlos. Warum sage ich nur gleich „gut“?
- Du hast es nicht anders gelernt. Stark sein ist gut, das ist dein Motto, was?
Das ist gut, dass sie mich das fragt, denn da denke ich an meine Liste.
- Du, diese Liste, die liegt mir wie ein Stein auf dem Herzen.
- Wieso?
- Ich begreife so vieles nicht, kann so vieles nicht annehmen. Und was soll ich mit damit überhaupt anfangen?
- Du lernst dich neu kennen. Bisher stand dein Verstand dazwischen, nun erfährst du dich so wie du bist. Ist nicht einfach, aber du schaffst es.
- Woher weißt du das? Das sagst du wahrscheinlich nur so...
- Deine Seele nimmt nur soviel mit, wie du verarbeiten kannst. Die Türen öffnen sich nur soweit, wie du es gerade brauchst.
- Ist das etwa nur die Spitze vom Eisberg?
Die Katze nickte und war mit ihrer Fellpflege endlich fertig.
- Möchtest du die Punkte mit mir zusammen durchgehen? - fragte sie.
- Ja, gerne. Was auch immer du damit meinst. Ich glaube ich komme langsam auf den Geschmack vom „Sich-Neu-Kennen-Lernen“.
- Punkt Nr. 1...
- Ich halte an dem Problem fest, weil es mir Halt im Leben gibt. Ich brauche es.
- Du nicht, dein Ego schon. So hat es nämlich eine Menge Macht über dich.
- Du sagst immer „Ego“ und „Verstand“ und „Seele“. Irgendwie kann ich mit den Wörtern überhaupt nichts anfangen.
- Du hast einen Körper, also Muskeln, Sehnen, Fettgewebe, Organe, Blut usw. Dann hast du noch eine Seele. Diese allumfassende Kraft, die diesen faszinierenden Organismus steuert. Du musst an den Strom nicht glauben, - fügte die Katze hinzu, als sie mein Kopfschütteln sah.
- Aber wenn du zwei Finger in die Steckdose steckst, dann kriegst du einen Stromschlag. Also, einen Körper und eine Seele hast du, das ist zwar ein sehr vereinfachtes Bild, aber für den Anfang reicht es. Außerdem hast du einen Verstand, ein Ego. Die Ansammlung all deiner Erfahrungen, die zu einem Gesamten verschmolzen sind. Vielleicht hat dir ein Junge mal mit einer runden Brille geholfen, du wirst Menschen mit einer runden Brille immer sympathisch finden. Das ist dein Verstand, der dich da steuert. Da er aber keinen Zugang zur Seele hat, also zum echten Wissen, kann er sich eben manchmal auch täuschen.
- Wenn jemandem also Geld wichtiger als Menschenleben sind, dann ist er im Ego?
- Ja, genau. Und so ist es bei dir. Wenn du kein Problem mit deinem Körper hast, wenn du ihn so angenommen hast, wie er ist, schlank oder pummelig, wie auch immer, dann hat der Verstand eine Abteilung in der AG „Mensch“ weniger, verstehst du?
Ja, ich verstand es sehr gut. Das klang alles sehr logisch. Aber...
- Sag mal, den Körper fühle ich, ich weiß, dass ich einen Verstand habe, weil ich denke und mir Sachen merken kann. Aber die Seele, hm, da sehe ich nur Bilder aus Filmen, wenn jemand stirbt und so eine durchsichtige Gestalt dem Körper entsteigt.
Ich könnte schwören, die Katze hat geschmunzelt.
- Naja, so ganz unrecht haben die Filmemacher ja nicht. Aber das ist nur ein Energiefeld, dass mit der Seele zusammen reist. Die Seele selbst lebt in deinem Herz.
Okay, nun wird es mir zu bunt! Energiefeld? Reisen? Die Katze spricht ja so, als ob ich hier auf der Erde nur auf Durchreise bin. Kurzer Zwischenstop, sozusagen. Und im Herz soll eine Seele sein? Die Katze fühlte meine Skepsis und sagte:
- Schließe deine Augen und fühle mal in deine Finger hinein. Fühle mal rein, was die Finger so von ihnen ausfüllt. Es kann sich kalt anfühlen oder warm oder wie so ein Gelee um die Finger oder wie ein Strömen durch die Finger. Jeder nimmt es anders wahr.
Ich machte es so, wie ich die Katze gesagt hatte und brach aber das Experiment ab.
- Ja, dein Ego wehrt sich. Es will der Alleingesellschafter sein, aber das kommt schon noch. Es denkt gerade wohl in dir: „Alles Einbildung!“. Lass es nur denken. Mach die Übung immer wieder. Fühle in die Finger rein, in die Hand. Wenn das gut geht, dann dehne diese Wahrnehmung auf den Bereich bis zum Ellbogen. Und wenn du das gut beherrschst, dann bis zur Schulter ausdehnen. Irgendwann kannst du die zweite Hand dazu nehmen und dann die Füße mit den Beinen erarbeiten. Später die Hüfte, den unteren Bauch und den Rücken, danach den oberen Bauch, die Brust und die Schultern. Zuletzt wirst du dich an den Kopf dran machen. Da gibt es unheimlich viel zu fühlen. Zähne, Lippen, Wangen, Nase, Ohren, Augen, Haare. Und dann, ja dann kannst du den ganzen Körper fühlen. Schönes Gefühl, glaub mir.
- Und das soll mir im Kampf mit dem Ego helfen?
- Nein, du sollst ja gar nicht kämpfen. Lass es einfach zu. Arbeite auf einer anderen Ebene einfach weiter. Für heute reicht es dann erstmal.
- Und den Rest der Liste? Wann machen wir den?
- Wir? Tu doch nicht so kindisch, du schaffst es auch alleine.
Und schwups, war sie wieder aus dem Fenster.

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