Samstag, 11. April 2015

Kapitel 4: Bei den drei Kirschbäumen



Ich habe gar nicht gewusst, dass wir im Park diesen Ort haben. Wenn die Kirschen im Frühling blühen, ja, dann sieht man sie. Aber dass sie so im Dreieck angeordnet sind, das ist mir noch nie aufgefallen. Und diese Bank erst. Mensch, die sieht man gar nicht. Mitten im Park und doch so ganz für sich alleine. Meine graue Katze saß schon da und sah in die Ferne.
- Hallo, - sagte ich und streichelte sie zur Begrüßung.
- Ich habe dir rohen Schinken mitgebracht. Ich wusste nicht, was du gerne magst, - fügte ich noch hinzu.
- Wäre nicht nötig gewesen, - antwortete sie, aß aber die hauchfeinen Scheiben auf.
- Was machen wir heute? - frage ich.
- Wie immer, reden, - schnurrte sie.

- Ja, aber worüber?
- Was liegt dir auf dem Herzen?
- Naja, meine Liste hat ja noch mehrere Punkte...
Ich holte meinen Block raus.
- Möchtest du den vierten Punkt zerlegen? - fragte die Katze vorsichtig.
- Ja, - sagte ich hatte auf einmal einen Kloß im Hals. - Ich möchte stark auf andere wirken.
- Netter Wunsch, - schmunzelte die Katze. - Und warum?
- Weiß ich nicht. Bin wohl öfter verletzt worden, daher habe ich Angst, dass es wieder passieren kann.
- Hm, und wenn du stark bist, dann meinst du, dass dich keiner verletzt? Nee, du grenzt dich einfach ab. Aber es wird immer Konflikte geben, wenn zwei verschiedene Interessen aufeinander treffen. Konfliktlos kannst du nur leben, wenn du keinen nahen Kontakt hast, zu niemandem, aber auch wirklich zu niemandem.
Die erste Träne sammelte sich im Augenwinkel und lief langsam die Wange runter.
- Aber ich kann nicht. Ich kann keine Nähe zulassen, - sagte ich leise und war selbst sehr überrascht. Ich bin doch so kontaktfreudig, so offen, so gesprächig. Und doch geht der Kontakt immer nur bis zu einem gewissen Grad. Wenn es mir dann nicht gut geht, dann verziehe ich mich in mein Schneckenhaus und versuche es alleine zu schaffen.
- Deine Verhaltensweise ist zwar lobenswert. Du willst den anderen keine Umstände machen, aber du musst auch an dich denken. Überlege doch mal, wenn eine Freundin von dir dich anruft und völlig aufgelöst ist, was denkst du da? Denkst du wirklich: So eine Memme? Du lässt sie ausreden, du bist aufmerksam, du sucht nette Worte. Warum sollte es den Anderen den anders gehen?
- Du hast ja Recht. Aber ich habe einfach Angst vor den Menschen. Wenn ich wirklich ehrlich zu mir bin, dann sehe ich in jedem Menschen eine Gefahrenquelle. Jeder, aber auch jeder könnte der Nächste sein, der mir eine neue Wunde hinzufügt.
- Dir ist dabei klar, dass das ein absoluter Unsinn ist? Völlig irrational. Warum sollten sie das tun? Warum glaubst du, dass alle Menschen böse sind?
- Weil meine ersten Vertrauenspersonen eben gemein zu mir waren! - sagte ich laut.
- Du meinst deinen Bruder? Darf ich dir da helfen? Du kannst doch das helle Innere der Menschen sehen, richtig? Wundere dich nicht, ich weiß noch mehr über dich. Du glaubst zwar, dass du den Menschen dafür berühren musst, aber du täuschst dich. Schließe deine Augen, stelle dir deinen Bruder vor...
Unglaublich! Es funktionierte tatsächlich auch ohne Anfassen. Eine Lichtgestalt stand vor meinem inneren Auge. So wunderbar, wie jede andere auch.
- Aber wie kann es sein? Wie kann jemand, der so wundervoll und so voller Licht ist, so etwas getan haben?
- Tja, es gibt keine bösen Menschen. Wenn jemand dir weh tut, dann zeigt er dir nur: Hier ist noch Handlungsbedarf. Hier hast du noch etwas zu verarbeiten.
- Nein, das kann ich zwar nachvollziehen, wenn mein Mann mich verletzt und ich mich dabei an meine Kindheitswunden erinnere. Aber wie soll das bei einem Kind funktionieren?
- Wenn du eine Seele wärst, die keine Verletzungen mehr hat, dann würdest du doch nicht wieder geboren werden. Ist doch logisch, oder?
Ganz schön ketzerisch, diese Katze!
- Lassen wir mal diese Diskussion. Sag mir lieber, wie ich dieses „Stark-Sein-Wollen“ los werden soll.
Die Katze reckte sich und legte sich bequem hin.
- Ihr Menschen seid doch wunderliche Wesen. Ihr baut etwas auf ohne zu wissen warum und dann wollt ihr es auch noch zerstören ohne sich zu fragen, welche Funktion es hat.
- Was meinst du damit?
- Na, du willst es loswerden, wie du sagst. Aber hast du dich gefragt, wozu du es erschaffen hast? Hast du dir mal überlegt, wie gut es dir gedient hat? Dieses Streben nach Stärke und Kraft oder eher das Streben so aussehen zu wollen, das hat dir doch in manch so einer Situation geholfen. Es hat dir Halt gegeben. Und nun willst du dir diese Krücken entreißen ohne zu überprüfen, ob du auch ohne laufen kannst.
Sie hat mal wieder Recht. Mir hat dieses Verhalten immer wieder gut getan. Ich habe mich so in Sicherheit gewogen, dass mir keine Schmerzen mehr hinzugefügt werden.
- Sag mal, heißt das etwa ich soll anfangen, den Menschen zu vertrauen? - fragte ich und meine Nase verzog sich dabei so als ob ich Kuhmist gerochen hätte.
- Ganz genau, meine Liebe, ganz genau.
- Ich weiß aber nicht, wie es geht... - jammerte ich.
- Dann wird es höchste Zeit es zu lernen. In vielen kleinen Schritten. Immer wenn du merkst, dass du jemandem misstraust, dann brich diesen Gedanken ab und sag dir „Mir passiert nichts Böses“ oder was Ähnliches. Ruf auch mal eine Freundin an, wenn es dir mies geht. Oder schreib ihr zumindest. Aber ich merke, du bist mit deinen Gedanken ganz wo anders.
- Ist nicht einfach sich mit jemandem zu unterhalten, der deine Gedanken lesen kann, - lächelte ich. - Ich habe wieder etwas zugenommen und kämpfe gegen die Versuchung eine neue Diät auszuprobieren. Diesmal ist es was Supergesundes, grüne Smoothies.
- Schmecken sie dir? - fragte die Katze.
- Naja, wenn ich ein Glas am Tag trinke, ja. Aber zwei Liter ist schon etwas schwierig.
- Und warum willst du es dir dann antun? - fragte sie erneut.
- Naja, meine Hosen passen nicht mehr.
- Dann besorge dir halt größere.
- Nein, das geht nicht, dann muss ich ja in einem Monat wieder neue holen.
- Tja, warum glaubst du, dass du besser weißt, welches Gewicht für deinen Körper das ideale ist? Folgst blind irgendwelchen Idealen. Du bist nun mal nicht schlank und zierlich. Akzeptiere dich doch endlich so wie du bist. Du musst nicht jemand anderer sein.
Ich schwieg. Was sollte ich auch antworten? Mein Verstand wehrte sich gegen diese Worte. Ich hatte ja zwar zehn Gründe, warum ich nicht abnehmen will, aber wenn ich mir Sorgen um mein Aussehen mache, dann hat mein Ego viel Macht über mich.
- Nun gut, dann versuchen wir es auf eine andere Tour. Ich kläre dich kurz über Diäten auf. Erstens: Keine Diät funktioniert wirklich. Denn was ist dein Ziel? Nur Gewichtsreduktion? Nein, du willst abnehmen und dein Gewicht halten. Und das kriegst du mit keiner Diät hin. Irgendwann brichst du zusammen. Irgendwann kannst du dich nicht mehr so streng kontrollieren. Wenn du deine Ernährung umstellst, dann musst du auch deine Gewohnheiten ändern. Dein ganzes Leben umkrempeln. Du musst so leben, dass du keinen Trost durch Essen mehr brauchst. Verstehst du?
- Ja, das klingt alles sehr logisch.
- Gut, dann kommt jetzt zweitens: Jede Diät funktioniert.
- Wie bitte? Du hast doch gerade gesagt, dass keine Diät funktioniert!
- Wie erklärst du dir dann die Menschen die mit Rohkost oder Trennkost oder sonst was abnehmen? Jede Diät verspricht dir: Du wirst so und so viele Kilos verlieren. Und das tust du ja auch. Wir selbst hören da ein anderes Versprechen: Du wirst mühelos so bleiben wie du jetzt bist. Wir selbst. Kannst du mir folgen?
- Irgendwie schon.
- Dann habe ich für dich noch was: Um abzunehmen, musst du genug essen. Denn wenn du ständig im Halbhunger dahin vegetierst, so wie die ganzen Modells, Zustand von kontrolliertem Hunger nenne ich das, dann wirst du nie wirklich glücklich sein. Und vor allem gönnt man sich dann zu viele Zwischenmahlzeiten. Einerseits gut, weil dein Körper ja doch an seine Kalorien kommt und sich nicht die Energie aus den Muskeln holen muss. Andererseits, bevor du abnimmst, muss du dir klar machen, warum du zugenommen hast.
- Das sehe ich ein, aber irgendwie bin ich heute schon so voll Informationen, dass ich gar nicht mehr aufnahmefähig bin. Danke für alles, ich werde viel zu verdauen haben.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen