Mittwoch, 15. April 2015

Kapitel 7: Die letzten drei Punkte


Meine Liste. Erstaunlich wie viel Kraft mir früher die Abnehmversuche genommen haben und wie viel Kraft ich nun aus den archäologischen Ausgrabungen in meiner Persönlichkeit schöpfe. Ja, ich finde es nun richtig spannend. Und ich arbeite an den Punkten, nicht weil ich muss. Ich mache es, weil ich ein Selbstwertgefühl entwickle. Ich bin es wert, dass ich mir Zeit nehme für mich. Seit dem letzten Gespräch mit der Katze fiel es mir gar nicht mehr schwer sich Auszeiten zu gönnen. Bin ich müde? Ja, dann lege ich mich hin. Punkt und es gibt keine Diskussion.
Klar war das nicht immer möglich und natürlich war ich manchmal immer noch ziemlich geschafft. Aber ich entschied mich gegen das Schwarz-Weiß-Denken. Es gab nicht mehr so oft „NIE“ in meiner Ausdrucksweise und „IMMER“ verschwand auch so langsam. Ich habe ein Recht auf Fehltritte und Fehlentscheidungen. Es ist okay, wenn ich mal einen Keks esse. Da mache ich mir deshalb keine Schuldgefühle. Wozu auch? Was bringt mir das? Wenn ich diesen Keks gegessen habe, dann habe ich das ja getan um mich zu beruhigen. Solange ich keine anderen Strategien habe, muss ich meinem Körper dankbar sein, dass er versucht Stress so abzubauen. Nicht die ideale Lösung, nicht die beste, aber immerhin, eine Lösung. Ich suche nach den Alternativen, das ist das Wichtigste.

Was war denn nun Punkt 8 auf meiner Liste. Warum sollte ich noch nicht abnehmen? Wenn ich auf einen Schlag weniger wiegen würde oder mein Gewicht sich langsam und vorsichtig reduzieren würde, dann würde ich mir neue Sachen kaufen müssen. Oh, was fällt mir da auf. Einen Moment mal! Ich sage: wenn ich weniger wiegen würde und wenn das Gewicht weniger wäre. So als ob es von alleine geschehen soll. Warum auch nicht? Der Gedanke ist mir neu, gefällt mir aber. Wenn ich ein Gewicht habe, dass ich mühelos halten könnte, wäre das nicht mein Idealgewicht? Ich muss darüber irgendwann später mal grübeln.
Zurück zur Garderobe. Ich hatte geschrieben, dass ich geizig bin. Nein, das bin ich aber gar nicht, wenn ich ehrlich bin. Großzügig. Wenn ich Geld habe, lade ich gerne meine Freunde im Cafe ein. Und beim Einkaufen zähle ich auch nicht jeden Cent. Wenn ich Lust auf etwas habe, dann ist der Preis überhaupt nicht wichtig. Für meine Kinder gebe ich auch gerne Geld aus. Und bei den Geschenken spare ich auch nie. Warum also würde es mir so schwer fallen neue Klamotten zu kaufen?
Was würde die Katze jetzt antworten? Nein, was würde sie mich nun fragen? Wahrscheinlich wäre sie genauso vorgegangen. Sie hätte mich gefragt, ob ich in anderen Lebensbereichen auch geizig bin. Bin ich nicht, hab ich schon festgestellt. Wenn ich mir was zu Essen kaufe, dann bin ich nicht geizig. Das ist doch schon mal ein Anfang. Wie sieht es mit Pflegeprodukten aus? Da ist mir Qualität wichtig, für meine Haut nur das Beste, müssen nicht Markenprodukte sein, aber Aluminium sprühe ich mir nicht in die Achselhöhlen. Was kaufe ich noch so? Schuhe. Das ist ein Zwischending. Nichts Essbares und auch keine Kleidung. Für mich. Bin da aber ein Minimalist, habe keine 40 Paar Schuhe im Schrank. Bequem müssen sie sein, ich muss damit tanzen und gehen können.
Aber was noch? Mir fällt nichts ein. Sackgasse? Aber nein, was fällt mir da auf. Es geht nur um Klamotten. Das ist doch schon ein Schritt nach vorne. Warum aber eben nur die? Wenn ich schön angezogen bin, dann wirke ich attraktiv. Will ich das? Oh, das hatten wir doch schon im Zusammenhang mit Männern und meiner Angst vor ihnen. Habe ich übrigens noch welche? Weiß nicht. Weniger geworden ist sie auf jeden Fall. Also schön aussehen und sich bequem füllen. Darf ich mich denn bequem füllen in meiner Haut. Nee, nicht wirklich, irgendwas in mir verbietet es förmlich.
Ach, ist das nicht putzig! Das ist doch wieder mein Selbstwertgefühl! Ich denke, dass ich es nicht wert bin, mir neue Sachen zu kaufen. Für andere ja, für mich nicht. Und natürlich sitzt da auch ein wenig die Angst vor den männlichen Blicken dahinter. Wer hätte gedacht, dass das so einfach ist?
So, jetzt fühle noch mal nach. Wie ist es jetzt? Könntest du dir vorstellen den Kleiderschrank aufzufüllen oder deine zu groß gewordenen kleiner zu machen? Wieso nicht? Ich bin es mir doch wert! Hach, fühlt sich das gut an...
Kommen wir zum vorletzten Punkt: Das Übergewicht spielt in meinem Leben eine große Rolle. Es nimmt viel Platz ein. Da kann ich nicht einfach hergehen und den Kampf gegen mich selbst aufgeben. Da bleibt doch eine unglaubliche Leere. Und wenn ich den Raum mit etwas anderem fülle? Wenn in meinem Leben auf einmal so viel Spannendes los ist, dass ich ans Abnehmen nicht denken kann? Weil mir erstens die Zeit dazu fehlt und zweitens die anderen Sachen viel interessanter sind. Wie wäre das?
Der Punkt hat sich ja schnell erledigt. Wobei es ja nur ein Plan ist, die Umsetzung wird noch etwas dauern. Mal überlegen, ich bin gerade etwas über dreißig, möchte so bis neunzig leben. Habe also noch gute sechzig Jahre für die Verwirklichung. Locker und entspannt, statt überfordert mit den eigenen Vorstellungen. Nein, ich möchte nicht mehr masochistisch sein. Ich möchte nicht mehr leiden. Ich entscheide mich für die Leichtigkeit. Wie im Leben insgesamt, so auch vom Körpergefühl her.
Halt, ein Gedanke will noch hinterher! Ich habe dem Thema „Schlank-Sein“ und „Gewichtreduzierung“ so viel Wertung gegeben. Also werde ich auch diejenige sein, die diese Wertung da auch wieder raus nimmt. Wer sonst? Ich möchte einerseits, dass das Gewicht sich von alleine normalisiert, ohne große Mühe und Anstrengung. Denn je mehr Kraft ich in etwas stecke, desto mehr Widerstand wird entstehen. Das ist doch klar wie Kloßbrühe! Aber andererseits ist mir klar, dass keiner für mich meine Gewohnheiten ändern wird. Und mein Essverhalten auch nicht.
Wenn ich also Lust auf einen Schokoriegel habe, dann kann ich ihn einfach mampfen und nicht nachdenken. Oder zumindest kurz inne halten und mich fragen, warum ich ihn gerade essen will. Was fehlt mir wirklich? Ist mir langweilig? Versuche ich etwas Unangenehmes hinaus zuschieben? Bin ich frustriert oder wütend oder vielleicht traurig? Wird der Schokoriegel mir wirklich helfen? Vergeht die Langeweile, die Wut oder die Traurigkeit? Werde ich mich weniger verletzt fühlen?
Nein. Die Schokolade ist nur ein Pflaster. Kann ich evtl. ein anderes Wundheilmittel verwenden? Ein wirksameres? Oder eines, dass mir nicht schadet? Ich muss die Wunde ja nicht sofort betäuben. Erst begutachten und sich klar machen, was da wirklich los ist. So, nun ist glaub ich die Gedankenschale zu diesem Thema leer. Puh, wurde ja doch mehr als ich dachte.
And last but not least: Ich hatte geschrieben, dass ich das Übergewicht brauche, damit ich mich immer wieder als Versagerin fühlen kann. Als eine Art Bestätigung, dass ich zu Nichts fähig bin. Aber stimmt das denn wirklich? Die Katze würde jetzt bestimmt das Ego ins Gespräch bringen. Und wie Recht sie damit hätte! Dem Verstand passt es doch wunderbar, das ich mich unterschätze. Ein guter Sklave ist ein gehorsamer Sklave, ein unterdrückter, einer mit einem gebrochenen Willen. Einer, dem klar ist, dass nichts zu ändern ist. So einer erträgt alle Erniedrigungen, alle Peitschenhiebe.
Nein, liebes Ego, ich lasse mich nicht mehr peitschen. Ich bin ein freier Mensch und ich brauche das nicht mehr. Ich will mich nicht als Versagerin fühlen. Ich weiß, dass ich was kann. Manchmal rutsche ich aus, aber das tun alle. Und überhaupt kann ich mir gar nicht vorstellen, dass ich wegen nur einem Lebensbereich, in dem es nicht so läuft, wie ich es mir vorstelle, wegen dem einen mich mies fühlen soll. Ich habe doch genug andere Gebiete, in denen ich erfolgreich und glücklich bin. Und auch dort geht es mal rumpelig zu, eitler Sonnenschein wäre ja auch auf die Dauer irgendwie langweilig. Ich habe eine Familie, eine liebevolle Familie. Einen Mann, der mich liebt und mich unterstützt soweit er kann. Zwei gesunde, intelligente und vor allem lebensfrohe Kinder. Und meine eigenen Eltern leben auch noch. Was ich da an Unterstützung auch schon bekommen habe!
Ich habe ein Zuhause, ein Dach über dem Kopf und komfortabel ist es auch noch. Es tropft nicht von der Decke, wenn es draußen regnet. Es pfeift nicht in den Ritzen, wenn es mal windig wird. Fließendes Wasser (heiß und kalt!) ist da, Heizung funktioniert auch einwandfrei, Licht habe ich, wenn es dunkel wird. Und Abwasser wird reibungslos abtransportiert. Nicht nur das! Mein Kühlschrank und meine Küchenschränke sind voll mit allem, was ich brauche. Nudeln, Getreide, Nüsse in allen Variationen. Frisches Obst und Gemüse zu jeder Jahreszeit.
Was will man mehr? Bin ich schon so verwöhnt, dass wenn alle täglichen Bedürfnisse gedeckt sind, mein Verstand sich ein Problem sucht? Kann das auch ein Punkt sein? Durchaus, aber nun will ich mir ein warmes Bad gönnen. Mit Schaum, Lavendelblüten und Bergamotte-Öl.

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