Dienstag, 20. August 2019

Warum sollte keinen schlanken Körper haben?

Ich habe mir diese Frage 2015 schon mal gestellt. "Warum sollte ich NICHT abnehmen?" - hieß es damals. Ich habe mir die Liste angeschaut und verglichen, was schon weg ist. Vielleicht tauchen zum Schluss ja neue Gründe auf?


1. Nicht abnehmen ist toll! Denn wenn du abnimmst (und um Gottes Willen auch noch nicht wieder zunimmst), da wirst du das Problem ein für alle Mal gelöst haben.

-> Ich sollte nicht abnhemen, weil ich dann kein Problem mehr zum Lösen hätte.
- Ja, ich habe mich mit dem Abnehmen beschäftigt, weil ich dann ein Problem zum Lösen hatte, etwas was mich davon abhielt sich mit anderen Sachen zu beschäftigen, z. B. einfach leben ohne ein Problem lösen zu müssen. Ich war und bin wohl immer noch eine Kämpferin, wobei es sich nach und nach entspannt.

=> Gut vier Jahre später bin ich manchmal auch noch da, wo ich war. Allerdings entspannt sich da alles immer mehr. Immer öfter kommt der Gedanke "Es darf auch einfach sein". Ist dieser Punkt noch aktuell? Passt heute noch die Aussage: Ich sollte keinen schlanken Körper haben, weil ich dann kein Problem mehr zum Lösen hätte? Nein, die Aussage passt heute irgendwie nicht mehr. 

 
2. Wenn ich abnehme, dann werde ich attraktiv. Denn dann werden auch die Männer auf mich aufmerksam und vor denen hab ich doch Angst.

-> Ich sollte nicht abnhemen, weil ich Angst vor Männern habe.

- Diese Angst hatte ich und habe ich teilweise immer noch. Wobei es heute nicht mehr Angst ist, Unsicherheit würde ich eher sagen. Wobei ich nun fast vier Wochen auf der Baustelle mit Männern zu tun habe und da ist der Umgang wunderbar gewesen. 

=> Habe ich noch Angst vor Männern? Ja, aber nur von denen, die selbstsicher auftreten. Da fühle ich mich wieder klein. Ich sollte keinen schlanken Körper haben, weil ich sonst attraktiv für Männer werde? Nein, das passt heute auch irgendwie nicht, denn ich fühle mich inzwischen auch mit 83 kg auf den Hüften als sexy und ansprechend. Ich empfinde die Blicke der Männer anders. Sie dürfen gucken, ich habe keine Angst mehr davor, dass ich nicht "Nein" sagen kann, mich gegen einen evtl. sexuellen Übergriff nicht schützen kann. 
 
 
3. Vor Kurzem habe ich bis zu meinem Idealgewicht abgenommen, ABER um das Gewicht zu halten hätte ich auf Kohlenhydrate verzichten sollen. Also, nicht abzunehmen ist toll, weil man weiterhin sein Lieblingsessen essen darf. Man muss sich nicht begrenzen.
 
 => Ich sollte nicht abnehmen, weil ich dann nicht alles essen darf und auf vieles verzichten muss.

- Ich war voll im Diät-Denken und Essen war für mich so viel mehr als nur Nahrung. Daher war damals der Verzicht ein absolutes No-Go. Ich habe inzwischen gelernt Gefühle und Stress anders zu regulieren und die Emotionsbindung zu Essen entkoppelt. Buchweizen ist heute nur Buchweizen, nur ein Lebensmittel. Wenn ich es nicht haben kann, dann esse ich was anderes.

-> Ich sollte keinen schlanken Körper haben, weil ich auf vieles verzichte müsste? Nein, das passt auch irgendwie nicht ganz. Ja, ich würde einige Sachen nicht essen oder nur wenig davon essen, aber ich hätte kein Problem damit. Neulich hatte ich Lust auf Knabberstangen mit Käse, diese knusprigen aus Blätterteig. Ich habe zwei Stück gegessen und den Rest stehen gelassen. Ich war zufrieden und es war gut so.
 
4. Wozu ist das Übergewicht noch gut? Es sieht nach Stärke aus. Wie soll ich das nur erklären... Wenn ich korpulent bin, dann strahle ich aus, dass ich stark bin. Ich möchte so aussehen, dass keinem auch in den Sinn kommt, dass man mich verletzen könnte. Das ist erstens. Und zweitens: es tut so gut sich stark zu fühlen. Es tut so gut, wenn andere deine Stärke bewundern. Ach, du kannst dies und das? Hmmm, wie Balsam auf die Seele.
 
=> Ich sollte nicht abnehmen, weil ich sonst angreifbar aussehe

- Oh, das war mir sehr wichtig stark zu sein und das auch so auszustrahlen. Heute ist es nur noch eine rudimintäre Gewohnheit, die immer mehr abklingt. Ich muss nicht stark sein, ich muss mich nicht abquälen, ich darf weich und schwach sein. Ich darf Stärke zeigen (mit dem großen Hammer auf der Baustelle rumhantieren) und ich darf auch um Hilfe bitten oder sagen, dass ich das nicht machen will. I

-> Ich sollte keinen schlanken Körper haben, weil ich angreifbar aussehen würde? Nein, das ist vorbei. Ich kann korpulent sein und angreifbar aussehen bzw. angegriffen werden. Der einzige Zweifel ist: Wenn ich schlank bin, bin ich dann körperlich belastbar? Und wenn nicht, wäre das so schlimm?
 
5. Außerdem hilft Übergewicht das Leben auf später zu verlegen. Ich werde glücklich sein, wenn ich abgenommen habe, nicht jetzt, irgendwann später. Vor den Augen hab ich, wie ein Esel, immer diese Möhre am Stab hängen – das Ziel, das man nie erreichen wird. 

=> Ich sollte nicht abnehmen, weil ich glücklich sein nicht aufschieben könnte.

- Hm, das ist ein Punkt, den ich fast nicht mehr nachvollziehen kann. Ich lebe im Hier und Jetzt. Es hört sich für mich heute nach einer Variation von Punkt 1 an. Ich hätte kein Problem zum Lösen, ich hätte kein Schlachtfeld und müsste dann tatsächlich einfach glücklich sein. Leben ohne ständig zu kämpfen. 

-> Ich sollte keinen schlanken Körper haben, weil ich dann das Glücklichsein nicht mehr aufschieben könnte? Nein, das ist auch vorbei. Der Zustand von Zufriedenheit und tiefem Glück ist heute nicht mehr (oder zumindest nicht mehr so starkt) verbunden mit dem Aussehen. Manchmal da sehe ich in den Spiegel und sehe das Fett und finde es hässlich. Meistens sehe ich eine Frau als Gesamtbild, eine schöne Frau. 
 
6. Dank meines „überschüssigen“ Gewichts bekomme ich ständig eine Portion Leid. Zuerst begrenze ich mich beim Essen, quäle mich selbst, dies darfst du nicht essen und das auch. Dann kommt ein Fressanfall, Gewissensbisse. Und dann siehst du, dass sich das Gewicht auch nicht nach unten verändert hat, wie ärgerlich, wie schade und wie quälend. 
 
=> Ich sollte nicht abnehmen, weil ich mich dann nicht quälen könnte. 
 
-  Muss ich mich heute noch quälen? Bin ich noch masochistisch? Manchmal ja. Wenn ich ein Beet umgrabe und keine Pause einlegen kann. Aber ich sehe inzwischen die Gründe. Ich war nicht masochistisch, weil ich Leid toll fand. Nein, ich wollte so nur die anderen Gefühle unterdrücken. Schmerz, Trauer, Wut. In der Traumatherapie bin ich damit in Kontakt gekommen. 

-> Ich sollte keinen schlanken Körper haben, weil ich mich dann nicht mehr quälen könnte? Nein, das passt heute auch nicht mehr. Ich bin weicher zu mir geworden, ich will mir nicht mehr selbst weh tun.

 
7. Nicht abnehmen, heißt immer mit sich unzufrieden sein. Wenn ich abnehme, dann werde ich ja perfekt sein. Was soll ich dann bloß machen?
 
=> Ich sollte nicht abnehmen, weil ich dann nicht mehr unzufrieden mit mir wäre.

- Jetzt wo ich das so formuliert habe, kommt es mir richtig merkwürdig vor. Was ist daran so schlimm mit sich zufrieden zu sein? Unperfekt zu sein? Es ist wieder eine Variation von Nr. 1. Ich habe ein Schlachtfeld gebraucht, einen Bereich, in dem ich mich anstrengen muss, mich ins Zeug legen, richtig kämpfen, abrackern usw.

=> Ich sollte keinen schlanken Körper haben, weil ich nicht mehr unzufrieden sein könnte? So ein Quatsch! Und auch hier merke ich wieder wie sehr sich meine Körperwahrnehmung verändert hat. Mein Körper ist mein Körper, er ist wie er ist.
 
 
8. Warum sollte ich noch NICHT abnehmen wollen? Ich muss meine Garderobe nicht erneuern. Wenn ich abnehme, dann muss ich entweder die Sachen kleiner machen oder neue kaufen. Und ich bin sehr geizig, was mich selbst angeht, sich selbst was kaufen ist für mich sehr schwer.
 
-> Ich sollte nich abnehmen, weil ich sonst neue Klamotten kaufen müsste. 
 
- Du meine Güte! Das war mal ein Grund? Echt? Auch hier ist die Anhänglichkeit weg. Ich hänge nicht mehr an meinen Sachen, ich könnte jederzeit einfach was anderes kaufen oder nähen. In der Depression habe ich jeden Tag Leggings mit Longshirt getragen. Meine ganze Garderobe bestand aus vier Leggings und fünf-sechs Oberteilen. 

=> Ich sollte keinen schlanken Körper haben, weil ich sonst mich neu einkleiden müsste? Nein, das würde mir nicht viel ausmachen.
 
9. In meinem Leben gibt es meinen Mann, meine Kinder, Familie, Haushalt, Arbeit, Hobbys und noch vieles mehr. Aber für all das bleibt nur die Hälfte (wenn nicht noch weniger) der Zeit, weil ich mich mit dem Abnehmen beschäftige. Es kostet viel Kraft ein neues Ernährungssystem aufzubauen? 
 
-> Ich sollte nicht abnehmen, weil dann viel Energie für anderes frei wird. 
 
-  Und wieder ist es der Punkt 1, ich habe ein Problem gebraucht, um das Gefühl zu haben, dass ich was zum Lösen habe. Die Kämpferin in mir verschwindet immer mehr und lässt immer mehr Raum für Freiheit, Liebe, Weichheit. 

=> Ich sollte keinen schlanken Körper haben, weil ich dann Kraft und Zeit für anderes hätte? Nonsense! Das wäre toll mehr Zeit für sich zu haben, mehr Zeit zum Leben. Ich beschäftige mich mit den Gedanken einfach nicht mehr. Ich glaube, dass ich über Essen mehr als ein Ernährungsberater weiß. Ich mag keine radikalen Veränderungen mehr.
 
 
10. Und wozu ist das Übergewicht schließlich und endlich noch behilflich? Es wird wunderbar das Gefühl instand gehalten, dass ich eine Versagerin bin, nichts in meinem Leben erreicht habe und alle meine Anstrengungen nichtig sind. Nichts bin ich wert und werde es auch nie sein. 
 
-> Ich sollte nicht abnehmen, weil ich mich sonst nicht als Versagerin fühlen kann. 
 
-  Eine Mischung aus Punkt 1 (gib mir was zum Kämpfen) und Punkt 6 (gib mir was zum sich selbst quälen) ist das. Wenn ich das so sehe, dann empfinde ich nur tiefes Mitgefühl mit dieser Frau, die ich damals war. Fühle ich mich nun wertvoll? Nicht ganz, aber ich bin auf dem Weg dahin. Ich entwickle eine gesunde Portion Egoismus. Eine Therapeutin meinte mal: Gesunden Egoismus nennt man Selbstliebe. 

=> Ich sollte keinen schlanken Körper haben, weil ich mich dann nicht mehr als Versagerin fühlen kann? Nein, eindeutig nicht. Ich will mich nicht mehr fertig machen.


Fazit:
Es muss eine völlig neue Liste her :-)
 
 

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